Kulturkampf der Keulenschwinger

■ Der Streit um die Friedenspreisrede Martin Walsers wird heftiger und persönlicher. Bubis wirft Martin Walser und Klaus von Dohnanyi latenten Antisemitismus und nationalen Touch vor

Berlin (taz) – Die Debatte, die der Schriftsteller Martin Walser mit seiner am 11. Oktober gehaltenen Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ausgelöst hat, wird immer hitziger. In der jüngsten Ausgabe des Spiegel spricht Ignatz Bubis, der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, von „latentem Antisemitismus“, den er zwischen den Zeilen bei Walser verspüre. Walser hatte in seiner Friedenspreisrede von Auschwitz als „Moralkeule“ gesprochen und vor einer „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ gewarnt. Bubis hatte Walser vorgeworfen, den Rechtsextremisten mit seinen Äußerungen argumentative Munition zu liefern. Im Spiegel-Interview sprach Bubis ferner davon, daß er einen intellektuellen Nationalismus heraufziehen sehe. Bei vielen sei vom Gehalt der Studentenbewegung nicht mehr viel übriggeblieben. „Nehmen Sie Hans Magnus Enzensberger, nehmen sie Botho Strauß. Das sind keine Rechtsextremisten, aber bei ihnen ist der nationale Touch zu spüren. Gleiches gilt für viele linke Intellektuelle.“

Noch heftiger reagierte Bubis auf Äußerungen und Texte des früheren Bürgermeisters von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, der in einem Artikel in der FAZ von den Versuchen anderer gesprochen hatte, „aus unserem Gewissen eigene Vorteile zu schlagen“. „Im Klartext“, sagt Bubis im Spiegel-Interview, „heißt das, die Juden machen aus allem Geld, sogar aus dem schlechten Gewissen der Deutschen.“ Darüber hinaus spekuliert Bubis über die Motive Dohnanyis, dieser sei „vielleicht nur verbittert, weil er sich von einer jüdischen Anwältin in einer privaten Entschädigungssache schlecht behandelt fühlt“.

Zeitgleich mit dem Spiegel-Interview erschien in der FAZ bereits eine Antwort Klaus von Dohnanyis, in dem er die Spekulationen Bubis mit einer rhetorischen Frage zurückwies: „Wie konnte Bubis mir unterstellen, daß ich in diesem Zusammenhang an Grundstücke denke?“ Klaus von Dohnanyi schließt mit den Worten: „Noch ist es Zeit für ein einfaches ,Tut mir leid‘. Sonst müßte man schließen, Ignatz Bubis habe sein Verantwortungsgefühl verloren. Und dann: Wie lange soll das noch so gehen?“

Unterdessen scheint die Diskussion um die Formen der Erinnerung an den Holocaust zu einem Kulturkampf der entstehenden „Berliner Republik“ stilisiert zu werden. An anderer Stelle in derselben Ausgabe der FAZ nimmt Klaus von Dohnanyi noch einmal Stellung zu der Debatte, der zuvor u.a. Beiträge von Richard von Weizsäcker, Jan Philip Reemtsma und dem Fernsehproduzenten Günter Rohrbach vorausgegangen waren. Von Dohnanyi hatte sich eine offene Aussprache mit Bubis und dem Zentralrat der Juden in Deutschland gewünscht. Der Zentralrat hatte den Wunsch nach Aussprache aber zurückgewiesen.

Weitere Artikel und Stellungnahmen zu der Debatte sind bereits angekündigt. Immer häufiger ertönt jedoch auch der Wunsch nach „Abkühlung“ der Debatte, nicht zuletzt beim Zentralrat, wo man sie gleichwohl als notwendig und sinnvoll betrachtet, weil in ihr die wahren Widersprüche im deutsch-jüdischen Gespräch aufbrächen. Harry Nutt

Kommentar Seite 12