Fremd ist Fremden die Fremde

■ Wieder dreht Romuald "Totmacher" Karmakar ein Kammerspiel fürs Kino. Diesmal mit Bodo Kirchhoff und auf dem Flughafen von "Manila", der in Bad Oldesloe nachgebaut wurde

Draußen schneit es, ein harscher Wind pfeift durch das Industriegebiet von Bad Oldesloe. Drinnen, in der Speditionshalle von Kühne & Nagel, brennen seit Anfang November die Filmscheinwerfer, bunte Lichtgirlanden hängen von den Decken der Wartehalle, durch die breite Glasfront zur angedeuteten Rollbahn schaut die Nase einer Boeing herein. Hier, in einem leerstehenden 4.000 Quadratmeter großen Speditionsgebäude in Bad Oldesloe, einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Lübeck, baut Romuald Karmakar den Internationalen Flughafen von Manila nach.

Genauer: Rolf Zehetbauer, der Oscar-gekrönte Production Designer von Bob Fosses „Cabaret“, Fassbinders „Querelle“ und Petersens „Boot“, ist verantwortlich dafür, daß die Wartehallen, die Bar und die Toiletten des Flughafens eine genaue Kopie des Originals in der philippinischen Hauptstadt sind. „Kein Studio in Deutschland hätte die nötigen Ausmaße gehabt“, sagt Zehetbauer. Die Details stimmen: In den Telefonkabinen liegen abgegriffene Telefonbücher von Manila aus, auf einem großformatigen, hintergrundbeleuchteten Wandbild entsteigt US- General McArthur mit Gefolge dem Meer, zielsicher strebt man der Insel entgegen. Ein Alltagsmythos: Die Filipinos haben nicht vergessen, wer sie 1946 aus japanischer Besatzung befreit hat.

Mehr Schauplätze braucht Romuald Karmakars bisher kostspieligstes Kinoprojekt nicht. 7,35 Millionen Mark kamen aus Karmakars eigener Produktionsfirma, der Münchener Cobra Film, der Berliner Senator Film und dem Filmbüro Hamburg zusammen. Die anderen angefragten Gremien und Anstalten – von Filmförderungsanstalt (FFA) über Filmstiftung NRW, von Bayerischer Filmförderung über SWR, von Bayerischem Rundfunk bis zu WDR – winkten dankend ab. Den einen waren die Figuren zu negativ, den anderen die Sprache zu vulgär. Selbst Arte konnte nichts zuschießen, weil kein öffentlich-rechtlicher Sender zur Koproduktion bereit war. Es hat dem 33jährigen Romuald Karmakar nicht viel genützt, für seinen „Totmacher“ 1995 in Venedig ausgezeichnet worden zu sein (Darstellerpreis für Götz George), in Deutschland mit drei Bundesfilmpreisen und in den Kinos Kasse gemacht zu haben mit einem Kammerspiel.

Wieder dreht Karmakar ein Kammerspiel. Mit langen Plansequenzen, möglichst wenig Schuß und Gegenschuß und einem Rhythmus, über den sich der Regisseur und sein Cutter (Wenders' Lieblingscutter Peter Przygodda) noch nicht im klaren sind. So klangvoll unbestimmt der Titel, so brachial der Untertitel des Projektes: „Wie weit Sie auch reisen, Sie bleiben immer ein Schwein“. Über die Devise sind sich Romuald Karmakar und Bodo Kirchhoff, die gemeinsam am Drehbuch gearbeitet haben, einig. „Wir haben uns nichts geschenkt“, sagt Karmakar.

Die Story: In Manila ist ein Dutzend Passagiere, die meisten Deutsche, gezwungen, stundenlang auf den Rückflug nach Frankfurt zu warten, Maschinenschaden. So kommen Herbert (Manfred Zapatka), Elisabeth (Elizabeth McGovern), Rudi (Jürgen Vogel), die Görlers (Margit Carstensen, Peter Rühring) und all die anderen in der unfreiwilligen Wartegemeinschaft schnell ins Erzählen. Doch ihre Erlebnisse als Touristen auf den Philippinen verblassen gegenüber den emotionalen Abgründen und Verwerfungen, die sich in den folgenden neun Stunden auftun werden. Und nur Franz (Martin Semmelrogge), der Toilettenmann, weiß um die Gemüts- und Geschlechtslage der Paare und Paarungen, die sich bei ihm einfinden in den Toilettenanlagen des Flughafens in Manila.

Am Set herrscht gute Stimmung, nach Drehschluß wenigstens, als die Reporter aus der Kälte anrücken. Warmherzig stellt der Regisseur seine Darsteller vor, er scheint es immer noch nicht fassen zu können, daß eine Elizabeth McGovern, die eine tragende Rolle in Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ und in den „Schwingen der Taube“ hatte, zu ihm nach Oldesloe gekommen ist und für ihre Rolle auch noch Deutsch gelernt hat. Drei philippinische Schauspieler, in ihrer Heimat Stars, hat Karmakar in Manila gecastet, in Bad Oldesloe sollen sie die internationale Atmosphäre authentischer werden lassen, sagt der Regisseur, während Chin Chin Gutierrez und Ces Quesada lächelnd in der Halle stehen.

„Kinogeschichten sind immer dunkel“, so Karmakar, „und dunkle Geschichten gibt es im deutschen Kino nur in seltenen Fällen.“ Es sei schwierig gewesen, in Deutschland Leute zu finden, die noch „Kino können“ und nicht nur Fernsehen. Und Karmakar, sonst ein sanftmütiger Plauderer, glüht, wenn er sich über die unheilvolle Dominanz des Fernsehens ausläßt: „Kino ist hierzulande Fernsehen“, sagt er, und daß das Fernsehen bestimme, wie Kinofilme auszusehen hätten. Er hat deswegen seinen Kameramann aus New York geholt, Fred Schuler, der schon mit Cassavetes und Scorsese gearbeitet und auch den „Totmacher“ fotografiert hat. Er hat Ausstatter Rolf Zehetbauer angesprochen, der Karmakar als seinen Jungbrunnen rühmt. Und er hat Manfred Zapatka geholt, der „leider im neuen deutschen Film keine Rolle spielt“.

Warum Manila? Bodo Kirchhoff, nicht erst seit seinem Buch „Infanta“ als Autor der schwülen Denkungsart verschrien, war fasziniert vom „Amalgam von Dritte Welt, Katholizismus und Hollywood“ auf den Philippinen. Die Amerikaner waren gute Kolonialherren, sagt Kirchhoff, sie haben die Philippinen alphabetisiert und moderat missioniert. Die Filipinos seien nicht die Idioten des American way of life wie viele Deutsche, sondern sie hätten damit einen eigenartigen ironischen Umgang.

Das Verhältnis zwischen einheimischer und deutscher Lebensart soll den ideellen Hintergrund bilden für das, was sich im Laufe des Films in Wartehalle, Bar und Toiletten abspielt. Man hätte „Manila“ auch in Bangkok ansiedeln können, doch Kirchhoff und Karmakar ging es um mehr als um Sextourismus. Thema ist die Überforderung in der Fremde, ein Leitmotiv Kirchhoffs. Bei Einzelheiten hält sich der Autor noch bedeckt, aber soviel kann er schon sagen: „Die Fremde bleibt fremd, und in ihr kann man sich übernehmen. Plötzlich begreift man etwas über sich“, sagt Bodo Kirchhoff, „eine kathartische Reaktion.“

Katharsis, noch so ein Schlüsselwort des Buches. „Die Deutschen sind Reiseweltmeister, aber es gibt zu diesem Thema kaum eine künstlerische Umsetzung“, sagt Romuald Karmakar. „Manila“ soll diese Umsetzung werden. Eine überforderte Schar Touristen unter sexuellem Leistungsdruck wird durch höhere Gewalt der Tourismusbetriebsamkeit entzogen und dem Leerlauf der eigenen Gedanken ausgesetzt. Triebwerkschaden macht Triebschaden.

Bis Ende des Jahres wird noch gedreht in Bad Oldesloe, das Finale findet dann auf dem winterkalten Frankfurter Flughafen statt. Ins Kino kommen soll „Manila“ im Herbst 1999. Ab sofort zeigt übrigens die Lufthansa ihren Passagieren auf allen Langstreckenflügen zur Abschreckung gegen Sextourismus ein Video. Alexander Musik