"Wir wollen die PDS nicht plattmachen"

■ Harald Ringstorff (SPD), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, über seine Erfahrungen mit dem Koalitionspartner PDS, über die Strategie der Sozialdemokraten im Osten sowie über staatliche Pro

taz: Herr Ringstorff, Sie stehen seit vier Wochen an der Spitze des bundesweit ersten rot-roten Regierungsbündnisses. Heute geben Sie Ihre Regierungserklärung ab. Können Sie die PDS schon weiterempfehlen?

Harald Ringstorff: Ich erteile keine Ratschläge, schon gar nicht über die Zeitung. Jedes Bundesland muß selbst entscheiden, wie es mit der PDS umgeht. Wenn jemand möchte, dann berichte ich gern über unsere Erfahrungen mit der PDS.

Welche Erfahrungen haben Sie denn gemacht?

Bis jetzt gute. Die PDS ist ein verläßlicher Koalitionspartner.

Haben Sie Ihre Entscheidung im stillen schon mal bereut?

Nein.

Wenn die PDS an die Regierung kommt, hieß es, dann würden sich Investoren zurückziehen. Haben sich bei Ihnen schon Unternehmen gemeldet?

Nein. Nur von den mehreren Millionen Urlaubern, die Mecklenburg-Vorpommern jährlich besuchen, sollen einige wenige geschrieben haben, daß sie unsere Entscheidung nicht gutheißen.

Sie können aber nicht leugnen, daß die Koalition mit der PDS ein Tabubruch ist.

Es wollten einige so ein Tabu errichten. Wir Sozialdemokraten haben schon 1996 auf einem Sonderparteitag gesagt, daß wir das Ziel haben, in Mecklenburg-Vorpommern stärkste Partei zu werden, und daß wir nach der Wahl anhand von sachlichen Kriterien über einen Koalitionspartner entscheiden werden. Das ist geschehen.

Die Koalition mit der PDS ist für Sie kein Tabubruch, weil es kein Tabu gab?

Richtig. Natürlich wissen wir, daß wir Neuland betreten haben. Aber wir haben bei unserer Entscheidung nüchtern abgewogen, mit welcher Partei es mehr Gemeinsamkeiten gibt, und das war nicht die CDU, sondern die PDS. Sie hat die politischen und atmosphärischen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit erfüllt. Die PDS hat sich für die Zwangsvereinigung von SPD und KPD entschuldigt, sie hat sich bei den Opfern des SED-Regimes entschuldigt, und sie hat die feste Zusage gegeben, daß keine politischen Kräfte Einfluß auf die Politik gewinnen, die nicht zur Landesverfassung und zum Grundgesetz stehen. Eine solche Entschuldigung für die Mitverantwortung des Unrechts in der DDR hat es bis jetzt von keiner der anderen ehemaligen Blockparteien gegeben.

Ist die PDS heute schon eine ganz normale demokratische Partei, die reif für die Macht ist?

Ich verstehe, ehrlich gesagt, die Diskussion darüber nicht so ganz. Die PDS ist Realität. Sie wird von 20 bis 25 Prozent der Ostdeutschen gewählt. Sie ist eine normale Partei. Sie steht, jedenfalls in Mecklenburg-Vorpommern, auf dem Boden des Grundgesetzes. Warum soll man mit ihr nicht koalieren, wenn es als Alternative dazu nur eine Große Koalition gibt?

Manche meinen, Sie haben das Bündnis mit der PDS vier Jahre lang nur aus persönlichem Ehrgeiz verfolgt. Sie wollten einfach nicht mehr mit der CDU.

Es gibt viele Klischees über mich. Immer wieder höre ich den Vorwurf, ich sei machtgierig. Das ist alles Quatsch. Ich habe mir doch nicht das Ziel gesteckt, als erster Politiker mit der PDS zusammen zu regieren. Mein Interesse besteht darin, in Mecklenburg-Vorpommern eine vernünftige Politik zu machen. Und da wir Sozialdemokraten nicht die absolute Mehrheit haben, brauchen wir einen Partner. Die SPD ist doch jetzt in einer strategisch guten Position: Da ist links jemand neben uns, da ist rechts jemand neben uns, und wir sitzen in der Mitte.

Ihre Parteifreunde Richard Schröder, Erhard Eppler und andere fürchten, daß Ihre Politik der Integration die PDS stark macht und die Mehrheitsfähigkeit der SPD auf Bundesebene gefährdet.

Vor zwei, drei Jahren noch wurde ich dafür gescholten, daß ich überhaupt mit der PDS gesprochen habe. Man könne doch nicht die SED-Nachfolger in die politische Verantwortung mit einbeziehen, hieß es. Da wurde moralisch diskutiert. Heute argumentieren dieselben Kritiker strategisch: Man könne nicht mit der PDS regieren, weil sich sonst eine Partei links von der SPD etabliert. Welcher Weg richtig ist, das wird die Geschichte zeigen.

Sie sehen nicht die beschriebene Gefahr für die SPD?

Ich sehe, daß die PDS bisher ausgegrenzt worden ist. Sie ist dadurch nicht schwächer, sondern immer stärker geworden.

Kann man die Ausgrenzung der PDS nur überwinden, in dem man sie gleich mitregieren läßt?

Ich denke, daß die Koalition auch für die PDS gut ist. Sie muß sich ab jetzt an Realpolitik messen lassen. Wir werden der PDS die Politikfähigkeit schon abringen.

Das klingt, als sei die Koalition eine pädagogische Veranstaltung.

Überhaupt nicht. Aber wir sind die Koalition mit der PDS auch nicht eingegangen, um sie innerhalb der nächsten vier Jahre plattzumachen. Wir werden mit unserem Koalitionspartner fair umgehen. Die PDS hat in den letzten Jahren eine Entwicklung durchgemacht. Sie hat begriffen, daß in der Politik nicht alles, was man sich wünscht, auch finanzierbar ist.

Und Sie werden auch nicht nervös, wenn der stellvertretende Ministerpräsident Helmut Holter sagt, die PDS werde eine sozialistische, antikapitalistische und systemoppositionelle Partei bleiben – obwohl sie regiert?

Nein, das regt mich überhaupt nicht auf. Ich weiß, was Herr Holter meint, wenn er sagt, die PDS wolle die Landesverfassung und das Grundgesetz auf demokratischem Wege ändern. Die PDS will mehr Basisdemokratie, mehr Volksentscheide. Vielleicht gibt es da Parallelen zu den Grünen Anfang der 80er Jahre.

Worte wie „antikapitalistisch“ und „systemoppositionell“ sind also nur Beruhigungspillen für die PDS-Basis?

Die PDS pflegt noch einige Rituale, die sich im Laufe der Zeit abschleifen werden. Zum Kommunismus jedenfalls will keiner von denen zurück. Sehr viele PDS-Mitglieder wissen die Vorteile der Marktwirtschaft zu schätzen, aber sie legen Wert darauf, daß diese Marktwirtschaft sozial ist. Wir Sozialdemokraten sehen das ja ganz genauso. Die PDS hat recht, wenn sie einige Randerscheinungen dieses Systems kritisiert. Wir leben in einer extremen Leistungsgesellschaft, und Leute, die in dieser Gesellschaft gescheitert sind, dürfen wir nicht im Regen stehen lassen.

SPD und PDS haben bei den Koalitionsverhandlungen nicht gerade den Eindruck gemacht, als seien sie politische Gegner oder Konkurrenten. Sind sich SPD und PDS im Geiste einig?

Natürlich sind wir politische Konkurrenten. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen uns, besonders was das Streben nach mehr Gerechtigkeit betrifft. Wir wollen die Ungerechtigkeiten, die allein dadurch bestehen, daß man in unterschiedlichen Elternhäusern geboren wurde, durch das Bildungssystem abbauen.

Sie klingen dabei immer so, als wollten Sie die Menschen alle betreuen, pflegen und umsorgen.

Wir können nicht alle versorgen, dazu reicht das Geld gar nicht. Aber wir können doch nicht so tun, als wenn es diese Menschen, die Probleme in dieser Gesellschaft haben, nicht gibt. Wir müssen uns um sie kümmern. Im Westen heißt es, wir in Schwerin würden unser Geld mit vollen Händen für staatliche Beschäftigungsprogramme ausgeben. Das stimmt nicht. Schauen Sie sich unseren Haushalt an. Die Nettokreditaufnahme wird radikal zurückgefahren. Wir machen eine solide Finanzpolitik und setzen dabei vorrangig auf den ersten Arbeitsmarkt. Die Koalition gibt 200 Millionen Mark zusätzlich für Investitionen aus. Wir sagen aber auch, daß in Mecklenburg- Vorpommern ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt mittelfristig notwendig ist.

Genau mit diesem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor haben Sie große Hoffnungen bei vielen Menschen geweckt. Können Sie die überhaupt erfüllen?

Unsere Koalition hat wesentlich weniger Versprechungen gemacht als die vorige Regierung. Unser Ziel ist es, in den nächsten vier Jahren 20.000 Menschen zusätzlich in Arbeit zu bringen. Mein Vorgänger hat gesagt, er würde 200.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Aber den hat keiner gefragt, ob er nicht zu hohe Erwartungen weckt. Helmut Kohl wurde danach auch nicht gefragt. Der hat blühende Landschaften und die Halbierung der Arbeitslosigkeit versprochen.

Die Kritik an Ihrer Politik bezieht sich doch eher darauf, daß Sie so stark auf den Staat setzen: Der Staat verspricht Arbeitsplätze, der Staat gewährt einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, der Staat garantiert jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Mecklenburg-Vorpommern könnte fast an einem DDR-Ähnlichkeitswettbewerb teilnehmen.

Ich bitte Sie, das hat doch nichts mit DDR zu tun. Es ist eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit dieser Gesellschaft, daß sie jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellt. Und wenn das die Unternehmen in dieser wirtschaftlich schwachen Region allein nicht können, dann muß der Staat helfen. Wie sollen junge Menschen sonst Vertrauen in die Demokratie gewinnen? Der Staat hat nun mal einen gewissen Reparaturbedarf für Mängel dieser Gesellschaft. Interview: Jens König

und Heike Haarhoff