Atome spalten die Regierungen in Bonn und Paris

■ Fischers Forderung nach Abschied vom atomaren Erstschlagsrecht der Nato läßt Chirac kalt. Doch ein deutscher Ausstieg aus der Kernkraft würde Frankreich in Schwierigkeiten bringen

Potsdam (taz) – Das atomare Erstschlagsrecht Frankreichs darf Deutschlands Außenminister Joschka Fischer ruhig in Frage stellen. Auf Gehör in Paris braucht er freilich nicht zu hoffen. „Diese Angelegenheit“, so beschied Staatspräsidet Jacques Chirac gestern in Potsdam, „ist ein Nato-Problem.“ Ein deutsch-französisches Problem hingegen könne der geplante deutsche Ausstieg aus der Atomindustrie werden, erklärte der Neogaullist.

Bundeskanzler Gerhard Schröder verstand seinen neuen Duzfreund sofort. „Unser Ausstiegsplan muß die völkerrechtlichen Bedingungen beachten und muß selbstverständlich sehr genau mit Frankreich geprüft werden“, versicherte er. Auch in Sachen der französischen Force de Frappe zeigte sich Schröder verständnisvoller als sein Außenminister: „Wenn sich die deutsche Position über das Erstschlagsrecht nicht durchsetzen sollte, wird unsere Bündnissolidarität überhaupt nicht in Frage gestellt werden.“

Mit zivilen Atomfragen soll sich in den kommenden Monaten eine deutsch-französische Arbeitsgruppe befassen. Sie muß prüfen, welche Konsequenzen ein deutscher Ausstieg auf die europäische Technologie zur Entwicklung eines neuen Druckwasserreaktortyps hätte. Ihr obliegt es auch, festzustellen, welche Konsequenzen der Ausstieg für die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague hätte, wo Deutschland der größte ausländische Kunde ist. Weitere Themen der deutsch-französischen Atomzusammenarbeit dürften die Lieferung französischen Atomstroms nach Deutschland sowie der Bau von von Deutschland mitfinanzierter AKW in Frankreich werden. Auch die Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen AKW-Herstellern in Osteuropa dürfte dort thematisiert werden. Fest steht, daß sich weder die deutsche noch die französische Atomindustrie Sorgen zu machen braucht, solange ihre FreundInnen in Paris mitregieren. Dorothea Hahn