piwik no script img

Venus der Werktätigen

Wenn DDR-Altlasten erotisch umgedeutet werden: die Lifestyle-Fotografie von Olaf Martens  ■ Von Hajo Schiff

Nur von blonden Locken umkringelt, sonst nackt, steht die Venus da. Doch anders als bei Botticelli steht sie auf einem alten Autoreifen vor einer Abraumhalde und wird von einem Büroneubau umrahmt. Russische Schönheiten zeigen sich in Untersicht vor Petersburger Architektur, doch lächelnd bemerken sie, daß im Vordergrund ihre Hündchen kopulieren. Ein Raupenbagger des Braunkohlentagebaus in Bitterfeld ragt phallisch ins Bild, doch die halbnackten Models lachen sich halb schief.

All' diese Fotos von selbstbewußt-lustvollen Frauen im wilden Osten – zeigt uns Olaf Martens aus Halle da etwas, was der Westen bisher übersehen hat? Es mag tatsächlich in der DDR ein etwas anderes Verhältnis zur Sexualität gegeben haben. Doch mehr noch ist der 1963 geborene Fotograf durch die Welle westlichen Konsumglitzers beeinflußt, die 1990, genau zu seinem Examen an der Leipziger Hochschule, den Osten überflutete. Und so treffen sich in seinen Bildern der Luxus mit den verrotteten Ecken abgeschaffter Industrie, stoßen Sex-Shop-Fetische auf die alte Ideologie: Die einst unvermeidliche Gruppe Werktätiger wird erotisch umgedeutet.

Die zur Zeit in der Barlach Halle K gezeigten, extrem farbigen Bilder zeigen ein hohles Feuerwerk dekadenter Verrücktheiten – wenn es denn Dokumentationen wären. Hochgradig inszeniert sind es aber eher Bilder über die Schwierigkeit, Träume zu realisieren. Auffällig an den meist mit starken Weitwinkelobjektiven erstellten Fotos ist die Übertreibung der Posen ein bewußtes Zitat der manieristischen Malerei eines Parmigianino und Bronzino.

Doch Olaf Martens setzt die Brüchigkeit der Glücksversprechen mit ins Bild. Ob Striptease in Halle oder eine fundamentalistische Modenschau in Istanbul: Es darf nicht nur gelacht werden, oft kommen auch Assistenten und Passanten ins Bild. Wie sehr hier professionelle Lifestylefotografie als bloßes Spiel mit Versatzstücken gesehen wird, zeigen die Inszenierungen mit biedermeierlichen Theaterhintergründen und die Arbeit mit handkolorierten Schwarz-Weiß-Abzügen. Für solch ein Bild erhielt Martens gerade den „Leads Award“ für das beste Modefoto 1998.

Überhaupt publiziert er ziemlich erfolgreich. So sind seine Bilder eine Gratwanderung: Die glatten gehen in die kommerzielle Verwertung, diejenigen, die beim gleichen Shooting einen schrägeren Blick zeigen, werden in den Kunstbetrieb geschickt. Dort behaupten sie dann nachdrücklich den seit Jahren immer penetranteren Kunstanspruch der Gebrauchsfotografie und füttern die Betrachter mit Bildern, aus denen sich allerdings trefflich Geschichten spinnen lassen.

„Der schräge Blick“, Galerie Barlach Halle K, Klosterwall 13, Di – Sa, 12 – 18 Uhr, bis 30. Dezember

Katalogbuch „Frostiges Feuer“, Edition Stemmle, 176 Seiten, gebunden, 49.90 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen