Arztroman, Folge 1: Intensivstation Von Fanny Müller

Ja ja, ich war schon wieder im Krankenhaus. Die medizinischen Einzelheiten lasse ich mal weg, weil die eh keiner wissen will, aber eines muß ich doch mal sagen: Eine Intensivstation ist k e i n Hort der Ruhe und des Friedens, falls Sie sich sowas vorgestellt haben – ganz im Gegenteil: Noch nie habe ich tage- und nächtelang ein solch ununterbrochenes Remmidemmi erlebt; noch nicht mal damals, als ich an dieser Wohngemeinschaft partizipierte, in der... egal.

Jedenfalls ging das Licht an. Dann ging es aus. Und wieder an. Schepper. Wagen rollen raus und rein. Bettpfannen klappern. Schwestern unterhalten sich über einen gewissen Mario. Und so weiter. Dazu vier Patienten. Zwei haben eine Meise, einer röchelt, und nur eine Person, die noch alle Tassen im Schrank hat und so gut wie gar nicht röchelt, nämlich ich.

Nebenan, durch einen Vorhang von mir getrennt, Herr P., weißes Haar und Adlernase, der den ganzen Tag und die ganze Nacht erzählt, daß er ein Hamburger Kaufmann sei und jetzt mal gefälligst seinen Koffer gepackt haben wolle, das Hotel hier gefalle ihm nicht. „Hamburger Kaufmann“ ist eine speziell in Hamburg übliche Berufsbezeichnung, die vortäuschen soll, daß hier einer nicht billigen Schrott einkauft und ihn teuer verscherbelt, sondern daß das Ganze irgendwie reell über die Bühne geht, haha. Am zweiten Tag erscheint ein Geschäftsfreund, auch so ein Gauner, dem teilt Herr P. im Bühnenflüsterton mit, daß er „ja 25 Unterführer unter sich“ habe, und vorgestern seien sie „drüben im Schloß“ gewesen, „kleine Feier bis morgens um sechs, du verstehst“, na ja, und wer kam dann gegen halb sechs noch kurz rüber? („...meine Männer waren natürlich begeistert!“) – Richtig geraten! ER. Der Größte Gauner Aller Zeiten. Und sowas muß man sich nun, ans Bett gefesselt und praktisch von Kopf bis Fuß orange angepinselt, kostenlos anhören!

Apropos kostenlos – darf ich mal wen grüßen? Nämlich das Gesamtpersonal der Station 18 B im Allgemeinen Krankenhaus Altona? Vor allem Willi, den Pfleger? (Und außerdem natürlich alle, die mich kennen, und die Kollegen und Kolleginnen aus dem Büro und die Mädels aus meiner früheren Klasse und...) Danke! Da kam ich nämlich anschließend hin, nach Altona, und kann eigentlich nicht klagen. Außer über den Morgenkaffee. Ein eigenartiges Phänomen, das ich mir nicht erklären konnte, obwohl ich mir mühsam einige Dinge aus dem Physikunterricht ins Gedächtnis zurückrief. Auf dem Tablett ein leckeres Brötchen, Butter, Honig und Quark und der Kaffee. Über eine kochendheiße Kanne war eine kochendheiße Plastikhaube gestülpt. Und der Kaffee war kalt. Ich glaube, es war Willi, der die These vertrat, daß die Kannen über Nacht im Kühlraum aufbewahrt werden und der Kaffee morgens dazu benutzt wird, sie wiederaufzuwärmen.

Willi war übrigens derjenige, der mich vom Amöbenstatus (ich weiß nicht, ob Amöben das auch tun – aber haben Sie schon mal versucht, im Liegen zu scheißen?) direkt ins Mittelalter katapultierte, indem er mir einen Kackstuhl organisierte. Manchmal bedarf es doch nur ganz weniger und einfacher Dinge, um ein großes und reines Glücksgefühl hervorzurufen. Das heißt, „reines“ ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz angebracht.