„Eine ganz andere Art von Bild“

■ Kinos zu Netzwerken. Peter Fleischmann, Chef des Europäischen Filmzentrums in Babelsberg, über die technische Revolution der Filmbildprojektion und deren Vertrieb

taz: Wann ist damit zu rechnen, daß CyberCinema die Qualität der klassischen Projektionstechnik erreicht?

Peter Fleischmann: Bis jetzt ist das Bild noch nicht besser, aber es ist schon beachtlich, rein rechnerisch hat es vielleicht eine Super-16-Qualität. Aber die Entwicklung geht sehr schnell. Es fehlt bisher noch am Kontrast, aber es gibt so viele Neuentwicklungen, die wir noch gar nicht getestet haben. Ich glaube, innerhalb eines Jahres wird sich da viel verändern.

In einem Jahr sieht man keinen Unterschied mehr?

Einen Unterschied sehen Sie immer. Das ist eine ganz andere Art von Bild, das heißt ja nicht, daß das eine schlechter als das andere ist. Das ist kein Renoir mehr, sondern ein Fernand Léger, wenn Sie so wollen. Die Filmleute sind eh konservativ, die haben doch schon geweint, als es vom Stummfilm zum Tonfilm gegangen ist, und haben gesagt, das ist das Ende der Filmkunst. Und als der künstlerische Schwarzweißfilm durch den banalen Farbfilm ersetzt wurde, haben sie wieder aufgeschrien. Jetzt werden sie natürlich wieder sagen, das waren doch alles so schöne Bilder. Man hat sich daran gewöhnt und mit dem Material, das man hatte, künstlerisch gearbeitet. Das wird man mit dem neuen Material auch wieder machen.

Wann wird die neue Technik allgemeiner Standard sein?

Der 35-mm-Standard, der sich ja als einer der wenigen Standards weltweit durchgesetzt hat, wird verhindern, daß der Wechsel abrupt kommt. Es wird ein allmählicher Übergang werden. Aber in drei bis vier Jahren wird es sich rechnen und die Technik so billig sein, daß man die Projektoren auswechselt, weil es sich lohnt. Sicher werden beide Techniken eine Zeit parallel laufen, aber das interessiert mich nicht. Wenn wir solange warten, können wir nur noch reagieren. Jetzt können wir noch agieren, gerade weil alles noch in der Entwicklung ist, weil man noch eingreifen kann, weil man noch ein europäisches Netzwerk schaffen kann. Mich interessiert, daß man einen europäischen Film in allen Ländern gleichzeitig herausbringen kann, daß man die Sprachbarriere, die ja Kulturgut, aber auch ein Handikap ist, überwinden kann.

Wie sieht dieses Netzwerk aus?

Natürlich ist die Technik jetzt noch teuer, und es braucht eine Anschubfinanzierung, um ein europäisches Netz zu schaffen. Wir wollen in einem Jahr soweit sein, daß wir die ersten bis zu hundert miteinander vernetzten Kinos eröffnen.

Wollen Sie neue Kinos bauen?

Nein, wir versuchen keine neuen Gebäude zu bauen. Das können bestehende Kinos sein, das kann aber auch das Spritzenhaus in der Gemeinde sein, denn wir wollen das CyberCinema-Netzwerk ja vorwiegend zunächst in Kleinstädten aufbauen, dort wo das Kino eigentlich schon verschwunden ist. Auch weil man da keine Riesenleinwände braucht, und wir haben beim Bild sicherlich bereits heute die Qualität eines Kleinstadtkinos, beim Ton sind wir sogar viel besser, weil wir da auf der digitalen Schiene bleiben und nicht den Lichtton brauchen.

Dieses Netzwerk wird auch von der EG gefördert?

Wir selbst werden nicht soviel bekommen, aber die einzelnen Kinos, die ja Pioniere sind, wenn sie diese Technik einführen, die sollten eine Unterstützung bekommen, das haben wir so besprochen. Aber es soll mehr als nur ein Austauschen der Projektoren sein, sonst würde man die Möglichkeiten der Technik gar nicht ausnutzen. Uns kommt es darauf an, um den Zuschauerraum herum viel Platz zu haben für das, was wir Forum nennen. Dort können die Leute vor und nach dem Film zusammen sein, können sich die Trailer abrufen, können Filme über Dreharbeiten sehen, können über Internet kommunizieren mit Zuschauern in anderen Kinos, können sich dabei sogar sehen. Dieses Forum ist sehr wichtig, denn ich glaube, daß wir jetzt die Möglichkeit haben, daß das Kino die soziale Bedeutung, die es einmal in den Kleinstädten hatte, wiedererlangt.

Ist nicht eher zu erwarten, daß die großen Konzerne die neue Technik zu einer weiteren Machtkonzentration nutzen werden?

Die großen amerikanischen Firmen sind momentan noch nicht sehr daran interessiert. Die sagen zwar, es wird natürlich eines Tages kommen, aber die haben nicht das Problem der Vielsprachigkeit, das wir haben, und eine wesentlich größere Kinodichte als bei uns. Die warten noch ab, bis ihnen jemand nachweist, daß die neue Technik billiger ist. Aber dann kann es zu einem Mehr an Konzentration kommen, weil die großen Konzerne sich ihre eigenen Satelliten leisten werden. Dann können sie „Independence Day“ nicht nur mit 1.000 deutschen Kopien starten, von denen ein paar Wochen später wieder 90 Prozent eingestampft werden müssen, sondern gleich 2.000 Leinwände blockieren.

Das widerspricht Ihrer eigenen Zielvorstellung.

Deswegen müssen wir dieses Netz jetzt schaffen und die Kontrolle behalten. Wir müssen uns fragen, welche Möglichkeiten haben wir, die Kino und TV nicht haben? Wir können den Regisseur mit den Zuschauern diskutieren lassen, wir können zeitgleich die besten Filme aus Cannes zeigen. Es wird sich sehr viel verändern. Momentan ist es unmöglich, einen europäischen Film in Europa gleichzeitig zu starten, wie das die Amerikaner machen. Wir kriegen nicht einmal dasselbe Plakat in zwei Ländern hin, da verpufft unheimlich viel. Wir waren bisher zu defensiv und haben nur gegen den amerikanischen Film gearbeitet und nicht für den europäischen. Wir haben sogar auf englisch gedreht, um den US-Markt zu erreichen, aber wir kennen die Filme unserer Nachbarn nicht. Das ist die große Chance dieses Systems.

Die Revolution findet statt, und keiner kriegt es mit?

Eine kleine Erfindung wie die der Handkamera in den 60ern hat in der Filmindustrie so vieles verändert, aber durch die digitalen Technologien wird unser Metier noch viel nachhaltiger umgekrempelt, in allen Bereichen, vom Drehbuch bis zur Projektion. Es kann auch sein, daß die Karten im Weltvertrieb neu gemischt werden. Ich fände es schade, wenn wir diese Chance vertun. Während die Europäer sich mit zwei Weltkriegen vom Rest des Planeten isoliert haben, konnten die Amerikaner ihre Vertriebsstrukturen weltweit ausbauen. Nun fängt alles wieder bei Null an, und die Möglichkeit zu einer neuen Vielfalt ist da. Jetzt haben wir die Möglichkeit zu agieren, später wird die Technik nur Allgemeingut der Industrie. Interview: Thomas Winkler