„Zwangsarbeit wird im Grunde legalisiert“

■ Münchhausen: Im Kölner Urteil wird deutsches Recht über das Völkerrecht gesetzt

Das Oberlandesgericht Köln hat gestern die Entschädigungsklage von 20 ehemaligen NS-ZwangsarbeiterInnen gegen die Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen. Prozeßbevollmächtigter der jüdischen Frauen ist der Bremer Klaus von Münchhausen, der in einem ähnlichen Fall auch KlägerInnen in Bremen vertritt.

taz: Wie bewerten Sie das Kölner Urteil?

Klaus von Münchhausen: Das Gericht hat festgestellt, daß die Zwangsarbeiter grundsätzlich Geld vom Staat bekommen können. Aber nach dem geltenden Bundesentschädigungsgesetz (BEG) sei das nicht vorgesehen. Das Gericht macht da einen Trick: Obwohl sich das Gesetz nur auf deutsche Staatsbürger bezieht oder auf deutsche Volkszugehörige, wird es jetzt auf alle Ausländer angewendet. Damit bricht das innerstaaatliche deutsche Recht die völkerrechtlich verbindliche Haager Landkriegsordnung, die solche Ansprüche anerkennt. Punkt zwei: Das Gericht sagt, daß es der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches überlassen bleibt, welche Rechtsverpflichtungen sie übernimmt und welche nicht. Das ist eine Freikarte für die Regierungen.

Sie gehen jetzt in Revision?

Auf jeden Fall. Denn es ist unmöglich, daß diese alten Damen und Herren durch dieses Urteil wieder – wenn nicht juristisch, dann zumindest moralisch – in den Zustand eines Zwangsarbeiters und auch in den Zustand der Untermenschen zurückversetzt werden. Dieses Urteil legalisiert im Grunde den Zwangsarbeitereinsatz.

Jetzt wird ja immer über eine Bundesstiftung geredet, die die Zwangsarbeiter entschädigen soll. Warum hat denn die Bundesregierung überhaupt Berufung eingelegt, nachdem sie in erster Instanz verurteilt worden war, einer Frau 15.000 Mark zu zahlen?

Bundeskanzler Schröder hat mehrfach gesagt, daß aus der Bundeskasse kein Pfennig gezahlt wird. Er würde nur die deutsche Industrie gegen die im Ausland erhobenen Forderungen unterstützen. Eben mittels einer Industriestiftung.

Wird es denn dann eine Entschädigungslösung für alle Zwangsarbeiter geben?

Von Finanzminister Lafontaine habe ich vor einer Woche einen Brief bekommen. Darin wird mir zugesichert, daß es eine allgemeine Entschädigung in Form einer Bundesstiftung geben wird. Offenkundig sind sich das Bundeskanzleramt und der Finanzminister an diesem Punkt nicht einig.

War es denn dann heute für Sie im Hinblick auf das Ziel einer möglichst breiten Entschädigung ein gutes oder ein schlechtes Urteil?

Es ist ein lachendes und ein weinendes Auge. Auf der einen Seite hat das Gericht den Rechtsanspruch auf Löhne für Zwangsarbeiter ausdrücklich bestätigt, hat es aber dem freien Willen der Bundesrepublik und dem Bundestag überlassen, ob sie nun daraus ein Gesetz machen oder nicht. Das heißt: Die Zwangsarbeiter sind der Willkür der Regierung und des Parlamentes ausgesetzt.

Das heißt, der Bundestag müßte jetzt ein neues Gesetz beschließen.

Ja. Der Bundestag müßte sagen, alle Zwangsarbeiter, die nicht von der Industrie eingesetzt wurden und hier noch Ansprüche geltend machen können, werden von der Bundesrepublik befriedigt. Ein solches Stiftungsgesetz könnte innerhalb von vier Wochen durchgehen. Es ist verwunderlich, daß von den Grünen in der Regierungskoalition nicht zu hören ist, daß die Zwangsarbeiter Ansprüche haben. Das war vor den Wahlen ganz anders. Aber jetzt sind die offenkundig sehr staatstragend geworden und tun nichts, um den alten Leuten zu helfen. Fragen: Joachim Fahrun