„Wir fühlen uns bedroht“

Seit der türkischen Demonstration für die Auslieferung des Kurdenführers Öcalan herrscht offiziell Ruhe. Doch im Alltag kracht es zwischen Berliner Türken und Kurden häufiger  ■ Von Julia Naumann

Die Stimmung in dem langgestreckten Raum scheint ruhig. Ein paar ältere Männer sitzen schweigend vor einem Fernseher, hinten spielen ein paar Jungs Billard. Die Wände sind kahl, nur ein paar bunte Plakate mit Öcalan und Fotos von gefallenen PKK-Kämpfern sollen etwas Farbe in den Raum bringen. Doch das Bild trügt. Der kurdische Verein Emek Baris ve Özgürlük Bloku (Zusammenschluß für Arbeit, Frieden und Freiheit) am Kreuzberger Kottbusser Tor hatte zwei Wochen lang geschlossen, weil die Gäste sich von Türken bedroht fühlen.

Nach der Verhaftung des Kurdenführers Öcalan vor drei Wochen seien täglich „50 bis 60 Türken“ auf der Straße und direkt vor dem Café, das im ersten Stock des Neuen Kreuzberger Zentrums liegt, aufgetaucht. „Es waren viele Mitglieder der faschistischen Grauen Wölfe dabei“, hat Alper Baba, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde, beobachtet. Die erkenne er an ihrem Gruß: die erhobene Hand mit gestrecktem Zeige- und kleinem Finger als Symbol für den Wolfskopf. „Wir werden Öcalan in der Türkei begraben“, hätten sie gebrüllt, und „Wir bringen euch alle um“, erzählt Baba. „Unsere Jugendlichen wollten natürlich sofort raus. Wir konnten sie zurückhalten.“

Weil die Provokationen sich häuften, beschloß der Vorstand des Vereins, der kulturelle Seminare, aber auch Fußballtraining anbietet, den Laden in dem heruntergekommenden Neubaukomplex vorübergehend zu schließen. „Wir fühlen uns von den Türken bedroht, der Krieg wird nach Europa gebracht“, sagt Ali Yilmaz, Student und regelmäßiger Gast im Verein. Das liege auch an den wiederholten Aufrufen in türkischen Zeitungen. „Dort heißt es zum Beispiel, überlaßt die Straßen jetzt nicht den Kurden“, hat Yilmaz gelesen. Die Demonstration am vergangenen Sonnabend in der Berliner Innenstadt habe außerdem gezeigt, daß viele Türken mittlerweile aggressiv gegenüber Kurden reagierten. Ein italienischer Spezialitätenladen wurde von Jugendlichen angegriffen. Ihr Vorwurf: Italien verhalte sich gegenüber Öcalan zu nachsichtig. „Wir haben jetzt Angst, daß Dinge wie in Brüssel passieren.“ Dort brannte Mitte November mutmaßlich eine Gruppe Türken zwei Häuser in einem von Kurden bewohnten Stadtviertel nieder. Bei der Berliner Polizei gibt man sich gelassen: „Bisher ist die Lage friedlich“, sagt ein Polizeisprecher. Für den Fall eines Prozesses gegen Öcalan schließt der Verfassungsschutz indessen eine Radikalisierung der PKK nicht aus.

Abseits der offiziellen Verlautbarungen häufen sich Vorfälle, die eine Veränderung des sonst guten Verhältnisses zwischen Kurden und Türken andeuten. „Wenn ich in der U-Bahn die prokurdische Zeitung Ozgur Politika lese, werde ich jetzt häufiger angemacht“, sagt Sidar Can, ebenfalls Gast im Verein. Auch von Rangeleien wurde ihm schon berichtet.

Türkische Organisationen spielen die Sache herunter: Sabri Adak, Präsident der konservativen Türkischen Gemeinde, sieht in den Grauen Wölfen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft werden, „kein Gefährdungspotential“. Von Unruhen habe er nicht gehört: „Es gibt kein Problem zwischen Kurden und Türken, sondern zwischen der PKK und dem türkischen Staat.“