Wiederbelebung mit der Meßlatte

■ Rekord: Mit der „Guinness-Show“ ist die ARD Weltspätester (20.15 Uhr)

In Saarbrücken wohnt ein Kondomhändler, der gegen Gewaltdarstellung im Film war und sich deswegen bei der Premiere von „Power Rangers“ vor dem Kino ankettete. Ebenso vergeblich wie dieser Protest war sein Versuch, ins Guinness-Buch zu kommen. Er scheiterte knapp daran, den Weltrekord im Dauerduschen zu brechen, obwohl er eine Woche in der Naßzelle verbrachte.

Um solche Menschen und Leistungen, die die Welt so dringend braucht, geht es der ARD beim neuesten Versuch, den nach dem Ableben von Kuhlenkampff und Thoelke verwaisten Sendeplatz der „großen“ Abendunterhaltung zu reanimieren. „Guinness – Die Show der Rekorde“ moderiert Reinhold Beckmann, der durchaus einen Bezug hat zum Prinzip „Höher, weiter, schneller“.

Auf Premiere hat Beckmann das Niveau der Sportsendungen geprägt, auf Sat.1 hat er in „ran“ den Ball flach gehalten und beim Publikum hoch gewonnen. Bei seinem ersten Talkshow-Versuch hat er jedoch das Reden allzu sportlich absolviert, weswegen die Sendung rasch disqualifiziert wurde.

Bei diesem Beckmann hat man den Eindruck, als hätte er nie etwas anderes gemacht, als locker und ungezwungen daherzureden, als sei er moderierend auf die Welt gekommen. Stand bei Kuhlenkampff und Thoelke noch irgendwie das „Menschliche“ im Zentrum, so geht es nun in der Show, die die ARD uns anbietet wie das nämliche Sauerbier, nur noch um das Zähl- und Meßbare. „Guinness – Die Show der Rekorde“ zeigt, wie Bestmarken und Weltrekorde zustande kommen, und sie präsentiert die Menschen, die hinter den Zahlen, Maßen und Ausdauerzeiten stehen. Aber um diese Menschen geht es nur insoweit, als sie Rekordhalter sind: Ich breche einen Rekord, also bin ich.

In der ersten Sendung dieses „Formats“, das in den USA erfolgreich läuft, versucht David Huxley aus Sydney, allein ein Fährschiff zu ziehen, das mit 75 Pkws und 250 Passagieren beladen ist. Was eigentlich gar nicht so viel ist, wenn wir uns erinnern, daß Obelix in „Asterix und Kleopatra“ eine ganze Flotte gezogen hat ...

Das Guinness-Buch ist ein Lexikon für eine besondere Form der Kulturleistung, die übergangslos mit der Psychopathologie des Alltags verschwimmt. Es ist verwunderlich, daß diese Mischung aus Freakshow und Jahrmarkt-Schaulust erst jetzt als deutsches TV-Format präsentiert wird. Denn so, wie durch Beckmann & Co. die Fußballshow zur Daueronanie der Statistiker wurde, so gerät nun auch die „große“ Abendunterhaltung zum Meßlattenfetischisten-Ereignis. Die optimale Unterhaltung für Leute, die in ihrem Beruf täglich Geld zählen und Versicherungen verkaufen. Die müssen sich abends nicht mehr umstellen. Manfred Riepe