Nicht mit Reizen geizen

■ Das Designerduo Vogt & Weizenegger hat ein spannendes Projekt auf die Beine gestellt: Nachwuchsdesigner entwerfen witzige Alltagsgegenstände, die Blindenanstalt Berlin fertigt sie an

Irgendwann kam Veronika diese Idee: Eine Fusion wollte sie gestalten, eine Fusion aus zwei verschiedenen Produkten. Lineal und Pinsel, Pinsel und Winkel, na klar, ein Pinsel-Winkel. Meß-Dienerin nannte sie ihre Kreation und dichtete dazu im Verkaufskatalog: „Die Meß-Dienerin versteckt ihre Reize nicht, sondern zeigt stolz, was sie mit ihren Schenkeln alles machen kann. Sie schafft es mühelos, als Winkel beim Zeichnen zu assistieren und gleichzeitig mittels integriertem Besen für die Sauberkeit des Blattes zu sorgen.“ So fern lag der Gedanke nicht, denn dort, wo ihr Produkt entstand, werden schon lange Bürsten für Architekten gefertigt: in der Blindenanstalt Berlin.

Veronika Becker ist eine von sechs Jungdesignern, die an einem ungewöhnlichen Gestaltungsprojekt teilnehmen, der „Imaginären Manufaktur“. Anfang des Jahres erdachte das Designerduo Oliver Vogt und Hermannn Weizenegger das Experiment, das eine Allianz von innovativem Designimpuls und moderner Marketingstrategie einerseits und traditioneller Fertigungskunst andererseits fruchtbar machen sollte. Die Idee: Junge Designer entwerfen spritzige Objekte, die sich gut und günstig verkaufen lassen, die Blindenanstalt in der Oranienstraße 26, die seit 120 Jahren Produkte aus Holz, Roßhaar und Kokosfasern herstellt, aber kaum noch auf dem Markt absetzen kann, fertigt die Entwürfe in Serie. Eine Fusion von Handwerk und Design mit sozialem Impetus. „Die Blindenanstalt liegt direkt gegenüber von unserem Büro“, sagt Oliver Vogt. „Da sind wir jahrelang vorbeigelaufen. Deshalb kam die Idee, was mit denen zu machen. Irgendwann haben wir den Chef gefragt, was er davon hält.“

Der Ansatz: Die Fähigkeiten der blinden, meist auch geistig behinderten Mitarbeiter der Kreuzberger Blindenanstalt „ins Jetzt übersetzen“. Denn daß diese Fertigkeiten auch im globalisierten Zeitalter nutzbar gemacht werden können, davon sind Vogt und Weizenegger überzeugt. „Design stürzt in diese Situation wie die Coca-Cola-Flasche im Film ,Die Götter müssen verrückt sein‘ in den Schoß des Buschmannes. Es rüttelt wach, regt an, knüpft ungeahnte Verbindungen“, heißt es im Präsentationskatalog.

Sieben Monate brauchte es, bis diese Verbindungen festgezurrt und ertragreich waren. „Das war am Anfang schon komisch“, sagt Veronika Becker, „da steht man plötzlich 52 Schwerbehinderten gegenüber und muß erst mal lernen, welche Techniken sie beherrschen, mit welchen Materialien sie arbeiten können, wie man überhaupt mit denen reden kann.“ Zum Beipiel zu lernen, daß man in den Gängen laut sprechen muß, damit die Blinden einen wahrnehmen. „Doch als sie allmählich unsere Stimmen wiedererkannten, wurde es richtig nett.“

Veronika entwarf den Pinsel- Winkel, Jane machte Lola Licht, den Leuchtenbausatz, Johannes den Stacheltopf für Fensterblumen. Ergebnis: knapp vierzig witzige und nützliche Designkleinigkeiten aus Holz, Porzellan oder Roßhaar, mit sieben bis hundert Mark allesamt erschwinglich, ausgestellt im Schaufenster der Blindenanstalt in Kreuzberg. Design und doch für jedermann.

„Massenprodukte sind prima“, so heißt schon lange das Credo von Vogt und Weizenegger. Bereits 1993 setzen die beiden mit dem Projekt Blaupause einen Kontrapunkt zu durchgestylten Exklusivschnöseleien auf dem Designmarkt: schlichte Möbel aus dem Schnittbogen zum Nachbauen.

Auch die Produkte der „Imaginären Manufaktur“ sind keine Einzelgänger. Hundert- bis zweihundertmal werden die meisten Sachen hergestellt. Schließlich sollen Steckpinsel, Nierentaschen und Notizbürsten das Geschäft der Blindenanstalt nachhaltig beleben. Für die Frankfurter Messe Ambiente im März ist schon ein Stand reserviert. Einen Teil der Sachen stellen Vogt & Weizenegger ab heute unter dem Titel „Shopinstallationen“ gemeinsam mit den Highlights ihrer eigenen aktuellen Produkte zu den Geschäftszeiten im Quartier 206 (Friedrichstraße 71) aus. Anja Dilk