Stilleben mit Mittelmeer

■ Krauts, mal ganz anders: Auf ihrer neuen Platte „Tel Aviv“ hängen sich F.S.K. an den Postrockzipfel des jüdisch-intellektuellen Rotwelsch

Es muß bei einem Auftritt der High Llamas – oder war es Tortoise? – gewesen sein, tief unten in München, das Vibraphon erstrahlte matt im Glitzerbühnenlicht. Der Mann mit den Klöppeln – oder sagt man Schläger? –, gerade mal noch den Fängen eitler Songschreiber-Ichbespiegelung entkommen, entlockte dem Instrument die Klänge einer harmonietrunkenen Selbstauflösung. Dann allerdings meldete sich das lästige Selbst, hoppla, per Fauxpas zurück, denn: „Bei aller Konzentration / fiel die Krawatte auf das Vibraphon / und ich hörte keinen einzigen Ton...“ ... notierte sich Thomas Meinecke, der im Publikum zugegen war. Aus der Beobachtung wurde das Stück „Stilleben“, fünf Minuten vierzig Musik auf dem neuen Album von F.S.K., „Tel Aviv“, erschienen 17 Jahre nach dem ersten Album „Stürmer“.

An den Titeln schon läßt sich unschwer ablesen: Da ist einiges Wasser die Isar – oder war es der Jordan? – hinuntergeflossen. Damals wollte man sich von der wiederum in die Jahre gekommenen Spontilinken noch mit Bundeswehruniformen auf der Bühne absetzen, ihnen also etwas vorführen, bei dem sie doch von Cora Stephan bis Joschka Fischer 1998 einmal angekommen sein würden. Heute ist die Subversionsgeste der „mobilen Anpassung“ an die Realität der verleugnenden Tätergenerationen bei F.S.K. zugunsten einer konstanten Sympathie für jene, die in dieser Realität nicht real vorkommen sollten, abgeschafft: Während Ex-„Neue Deutsche Welle“-Herbergsvater Joachim Witt durch den tarnfarbenen Schlick des norddeutschen Wattenmeers stiefelt und eine rrrreinigende Flut beschwört, blicken wir mit F.S.K.s Plattencover auf den blauen Himmel, das blaue Meer und den beigen Strand von Tel Aviv.

Es ist das Bewußtsein um diesen Zusammenhang und seine besonderen deutschen Ausleger, das F.S.K. davor bewahrt hat, bei aller Begeisterung für die Klangforschung der Postrock- und Electronica-Nerds, allein auf musikalische Verfeinerung zu setzen. Das steckt schon in der musikalischen Umsetzung des erwähnten Krawattenvorfalls drin: Alles scheint in Butter, weicher Klang, und dann dieser Lapsus, der daran erinnert, daß es noch eine störrische Körperrealität, zumal noch im altherrenhaften Modus der Krawatte, außerhalb der so transzendenten Klangblase gibt. Ein zünftiges Bierzelt- Housebeat-Schlagzeug, umspielt von sanfter Gitarrenfigur, mündet nach vielleicht zweieinhalb instrumentalen Minuten in eine Art Refrain, in der ein verzweifelt klingender Wilfried Petzi (bei F.S.K. gesangstechnisch eh immer schon auf die tragikomischen Männerrollen besetzt) chorbegleitet besingt, wie der sonst so schwingende Ton scheppernd erstirbt.

Eingeleitet von den typischen Glockenklängen eines DX-7- Synthesizers – F.S.K. kombinieren die gotisch-wavigen Wühltischklänge mit ihren Lapsteel-Lederhosen, anstatt sich schicke Moog- Synthies oder Sampler anzuziehen – dauert es in „Taunus Anlage“ wiederum einige Minuten bis Michaela Melian zur Geschichte von der ordnungspolitischen Bereinigung des gleichnamigen Parkstücks anhebt, jenem ehemaligen Treffpunkt der Frankfurter Drogenszene, zwischen Deutsche- Bank-Hochhaus und Theater gelegen, abmontiert die Bänke „unten in der Stadt“, während man „oben im Schloß“ von der elektronischen Hundeleine redet.

Wie sich auch schon an Thomas Meineckes jüngst erschienenem Roman „Tomboy“ gezeigt hat, landet die Beschäftigung mit Geschlechterforschung – der F.S.K. schon mit ihrem 95er Album „International“ einen Strauß Songs schenkten – irgendwann unweigerlich bei Freud und Marx und ihren Nachkommen. Und so bedienen sich die früheren Sponti-Gegner F.S.K. praktisch einer musikalischen Entsprechung dessen, was Reimut Reiche, der Ende der Sechziger unweit der Taunus-Anlage sein Buch „Sexualität und Klassenkampf“ schrieb, einmal das „jüdisch-intellektuelle Rotwelsch“ genannt hat: die unbewußte Identifikation von jungen Deutschen mit Theorie und Sprache der verfolgten und ausgerotteten jüdischen Intelligenz, mit Psychoanalyse und kritischer Theorie also.

Wobei F.S.K. allerdings wissen, wie oft diese Sprachen seitens der Linken später wieder auf Befehlston oder Therapiekitsch runtergekocht wurden. Deshalb denken sie nun eine Zeit in Tönen, bevor sie den Mund aufmachen. Und im letzten Stück „Lost in Munich“ singen sie im Chor: „Mach bitte, daß es einen Himmel gibt und eine Räterepublik ...“ Jörg Heiser

F.S.K.: „Tel Aviv“ (Sub Up/EfA)