Das Portrait
: Taiwans neuer Saubermann

■ Ma Ying-Jeou

Ma Ying-jeou hat noch etwas Mühe, wenn er im taiwanischen Dialekt seine Politik erklärt. Dagegen breitet der am Samstag zum neuen Bürgermeister Taipeis gewählte Politiker seine Zukunftsvision für die Millionenstadt mühelos in fließendem Englisch aus. Der international gewandte Ma bezeichnet sich als „neuen Taiwaner“. 1950 in Hongkong geboren, zogen seine Eltern mit ihm ein Jahr später nach Taipei, wo er im Altstadtviertel Wanhua aufwuchs. Dort sprach er Hochchinesisch und lernte früh Englisch. Nach dem Jura- Studium promovierte Ma in Harvard, bevor er 1981 als Präsidentenberater nach Taiwan zurückkehrte.

In seiner 17jährigen Zeit als Spitzenpolitiker der Kuomintang (KMT) hat sich Ma das Image eines „Saubermanns“ zugelegt. Als Justizminister kämpfte er gegen das organisisierte Verbrechen, was in Taiwan zu den schwierigsten Aufgaben gehört. Denn die unzähligen Banden haben während der 50jährigen Regierungszeit der KMT auch enge Beziehungen zu Spitzenpolitikern entwickelt. Mas Kreuzzug verärgerte auch Leute in der eigenen Partei. Die Banden schlugen zurück, und 1997 mußte er nach einer Entführungsserie vom Ministeramt zurücktreten.

Er setzte seine Karriere als Universitätsdozent fort, blieb aber weiter der populärste KMT-Politiker. In zahlreichen Fernsehdebatten trat er als Star auf. Als die KMT verzweifelt einen Bürgermeisterkandidaten für Taipei suchten, willigte er erst nach langem Drängen ein, gegen den als unbesiegbar geltenden Amtsinhaber Chen Shui- bian von der Fortschrittspartei anzutreten. Seine Visionen der Stadtpolitik faßte Ma in 15 Broschüren zusammen. Der Aufwand hat sich gelohnt: Ma gewann die Wahl mit deutlichem Abstand und eroberte damit für die Regierungspartei ein wichtiges Feld der politischen Profilierung zurück. Falls er als Bürgermeister schnell Erfolge vorweisen kann, dürfte die KMT gute Chancen haben, im Jahr 2000 die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.

Zugleich dürfte Mas Einfluß auf die Politik seiner Partei zunehmen. Er fördert junge Politiker, die die Demokratisierung vorantreiben und gegen die Korruption in der Partei antreten. Außerdem gehört er zu den KMT- Politikern, die über die Gespräche mit Peking am besten informiert sind. Seine Wahl ist dort denn auch mit Erleichterung aufgenommen worden. André Kunz