Durchbruch ohne Glanz

■ In Dresden probte erstmals das Deutsch-tschechische Gesprächsforum kleine Schritte zur Versöhnung beider Völker. Staatsminister Verheugen sieht eine neue Qualität im Umgang. Neue Bundesregierung betrachtet Vertreibun

Dresden (taz) – Der Veranstaltungsort war mit Bedacht gewählt: Im 1892 errichteten Ballsaal des Dresdner Lindengartens traf sich an diesem Wochenende erstmals das Deutsch-tschechische Gesprächsforum. Der Jugendstilsaal galt lange Zeit als eine der besten Adressen Dresdens. Nach dem Krieg verfiel er. Erst durch einen Hotelneubau erstrahlt der Lindengarten jetzt in neuem Glanz.

Auch die deutsch-tschechischen Beziehungen sollen neu erstrahlen. Nach zähem Ringen um die Aussöhnungsdeklaration trafen sich im Ballsaal Politiker und Fachleute beider Staaten, um über bilaterale Fragen zu sprechen. Die Präsidenten Václav Havel und Roman Herzog waren zum Start des ersten Deutsch-tschechischen Gesprächsforums gekommen, um die Teilnehmer auf „die historische Chance, über das nachzudenken, was den Bürgern beider Staaten am Herzen liegt“ (Havel). Auch Herzog forderte, „die Schützengräben der Provinzialität zu verlassen und tabufrei mit der deutsch- tschechischen Geschichte umzugehen.“

Das Forum ist Bestandteil der deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung vom Februar 1997. Im Juli hatten sich die Mitglieder des Koordinierungsrates in Pilsen konstituiert. Koordinator auf deutscher Seite ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen (SPD), auf tschechischer Seite Präsidentenberater Pavel Tigrid. Dem Rat gehören jeweils 20 Vertreter aus Politik, Kirchen, Wissenschaft und Publizistik beider Staaten an.

Die Fachleute erhörten ihre Präsidenten: Auf den Foren überwog der sachliche Disput. Es ging um Fragen der Bildungswege und des Jugendaustausches. Und es wurden Chancen wie Möglichkeiten der kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit erörtert. Bei den Tschechen spielte dabei immer wieder die Einbindung in die EU eine gewichtige Rolle. „Die praktischen Beitrittsfragen dürfen die EU-Erweiterung nicht bremsen. Sie sind schließlich nur das Mittel zu einem historischen Ziel“, sagte Havel. Der Erweiterungsprozeß von EU und Nato sei nicht nur eine Rückkehr der Ostblockstaaten nach Europa, sondern auch die Rückkehr Europas zu seiner historischen Identität.“

Ein Jugendvertreter sitzt künftig im Koordinierungsrat; für beispielhafte Zusammenarbeit von Kommunen wurde ein Presinvon 50.000 Mark ausgelobt – die konkreten Ergebnisse der Konferenz scheinen eher dürftig. Beobachter sahen aber in der Art und Weise des Umgangs miteinander eine neue Qualität. Günter Verheugen sprach von einem Durchbruch der Beziehungen. „Die Konferenz hat gezeigt, daß wir über alles und mit allen reden können.“ Zum Abschluß erklärte er, daß auch die neue Bundesregierung die Vertreibung der Sudetendeutschen als Unrecht betrachte. Eine Aufarbeitung dieses Themas werde „den Tschechen nicht erspart bleiben“.

Pavel Tigrid, wie Verheugen Ko-Vorsitzender des Gesprächsforums, warnte davor, sein Land in dieser Frage zu überfordern. „Wir haben den besten Willen“, versicherte der Präsidentenberater, „es wäre aber ein großer Fehler, wenn uns die deutsche Seite unter Druck setzt.“ Havel hatte jüngst erklärt, eine Rückgabe von Eigentum an Sudetendeutsche komme nicht in Frage. Da stimmen beide Seiten überein. Die Bundesregierung werde keine vermögensrechtlichen Ansprüche stellen, sagte Verheugen.

Die Ergebnisse wird der Koordinierungsrat jetzt dem Verwaltungsrat vorlegen, der dafür Mittel aus dem Zukunftsfonds freigeben kann. Für den Fonds stellte Bonn 140 Millionen Mark, Prag 440 Millionen Kronen (etwa 23 Millionen Mark) zur Verfügung. Der Großteil des Geldes kommt den etwa 8.000 in Tschechien lebenden jüdischen Nazi-Opfern zugute.

Zum nächsten Treffen wird die Konferenz im Sommer ins böhmische Franzenbad reisen. Und auch das, sagte Tigrid, „ist schon wieder sehr schön renoviert“. Nick Reimer