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Nichts ist Zufall, aber alles ist möglich

Wenn sich Präsident Conté im westafrikanischen Guinea am kommenden Sonntag zur Wiederwahl stellt, ist alles offen – außer dem Wahlergebnis. Porträt einer nur allzu typischen afrikanischen Präsidentschaftswahl  ■ Aus Conakry François Misser

Es sollte ein neuer Boxkampf des Jahrhunderts werden, so wie das historische Match zwischen Mohammed Ali und George Foreman in Kinshasa in den siebziger Jahren. Das größte Medienspektakel, das Guineas verschlafene Hauptstadt Conakry seit langem gesehen hat, wurde vom Zigarettenkonzern Norman Young gesponsert und von 14 Fernsehsendern in ganz Afrika übertragen. Und es erfüllte seinen Zweck: Der Guineer Lansana Bea Diallo, mehrfach Champion seiner Gewichtsklasse, besiegte am 14. November problemlos seinen US- amerikanischen Herausforderer und bekam die „Trophäe des Präsidenten Lansana Conté“.

Kurz vor der Präsidentschaftswahl, die am 13. Dezember stattfindet, sollte dies wohl den Sieg für Guineas Staatschef vorwegnehmen. Der kongolesische Animateur im „Olympiastadion“ von Conakry hatte schon vor Beginn des Boxkampfes seine Stimme verloren, weil er alle fünf Minute die Zuschauer lautstark zum Brüllen des Slogans „Die Jugend ist mit Ihnen, Herr Präsident!“ aufforderte. Und dann überschlug er sich förmlich, als schließlich ein würdiger Mann in blauem Gewand und weißer Mütze zusammen mit der First Lady Henriette Conté erschien. Zu spät brachte dem Animateur jemand bei, daß das gar nicht der Präsident war. Lansana Conté ließ sich in letzter Minute durch seinen Verteidigungsminister Dorank Assifat Diasseny vertreten.

Für Guineer kommt so etwas nicht überraschend. Der 64jährige General Conté, der seit 14 Jahren regiert, wird als menschenscheu und wenig charismatisch beschrieben. Dazu ist er Kettenraucher und Diabetiker und gilt allgemein als mit seinen Kräften am Ende. Das wird ihn aber vermutlich nicht daran hindern, die Wahl am kommenden Sonntag zu gewinnen.

Eine Stichwahl? Unnötig, sagt der Minister

Nichts ist dem Zufall überlassen worden. Alle Gebete in den Moscheen des islamischen Landes beginnen mit Huldigungen an den Präsidenten. Massenorganisationen von Frauen, Behinderten, Lehrern und Beamten, die zum Beitritt zur Regierungspartei PUP (Partei der Einheit und des Fortschritts) genötigt worden sind, preisen auf Kundgebungen und in den Medien den Staatschef wie in den finsteren Zeiten des Diktators Sekou Touré.

Das muß auch so sein, denn in Guinea bilden sich politische Loyalitäten nach ethnischen Kriterien, und Contés Soussou-Ethnie stellt nur 16 Prozent der Bevölkerung – gegenüber 30 Prozent für jede der beiden größten Volksgruppen, die Peul und die Malinke. Aber die Gegner des Präsidenten werden massiv behindert. Die Oppositionsparteien hatten nur drei Tage Zeit, um ihre Vertreter in den 8.300 Wahlbüros zu benennen – und da die Liste der Wahlbüros verspätet veröffentlicht wurde, verpaßten sie vielerorts die Frist, so daß die regierungstreuen Präfekten ihre eigenen Ernennungen vornahmen. Während die Mitglieder der Regierung pausenlos auf Wahlkampftour sind, ist es für Oppositionelle schwierig, auf dem Land Wahlkundgebungen genehmigt zu bekommen.

Das klarste Signal: Es gibt nicht einmal ein Datum für eine eventuelle Stichwahl. Das sei auch überflüssig, sagt Verteidigungsminister Diasseny, denn der Präsident werde sowieso im ersten Wahlgang 60 Prozent der Stimmen kriegen.

„Wir sind überzeugt, daß die Staatsmacht eine massive Fälschung durchziehen will“, sagt Mohamed Djané, Wahlkampfleiter des Präsidentschaftskandidaten Ba Mamadou. Er tritt für die oppositionelle PRP an (Partei für Erneuerung und Fortschritt) und führt einen „Dachverband der demokratischen Opposition“ (Codem). Der 60jährige Ökonom Mamadou von den Peul wurde dadurch gestärkt, daß der andere bekannte Peul-Oppositionelle, Siradiou Diallo – ehemals Journalist bei Jeune Afrique –, seine Kandidatur zurückzog. Mamadou dürfte damit die 24 Prozent erreichen, die er und Diallo zusammen bei der letzten Wahl 1993 erzielten.

Aber es könnte schwierig werden: Im Peul-Gebiet werden manche Wähler am Sonntag bis zu 40 Kilometer zum nächsten Wahllokal laufen müssen. Seinen Wahlkampf führt Mamadou von seinem Privathaus aus, da die Parteizentrale der PRP vor zwei Jahren in Flammen aufging.

Verbündeter von Mamadou innerhalb der Codem ist Alpha Condé von den Malinke, Kandidat der „Guineischen Volkssammlung“ (RPG), der seit einem Mordanschlag 1996 in Paris lebte und erst am 1. Dezember triumphal nach Conakry zurückkehrte. Er bekam 1993 19 Prozent der Stimmen. Am 22. November wurden im Stadtviertel Kaloum 14 Menschen verletzt, als eine RPG- Wahlveranstaltung von Störern angegriffen wurde. „Die wurden von der PUP bezahlt“, ist sich ein Sprecher der Partei sicher.

Unabhängig von ihrer Beliebtheit könnten die Oppositionsführer dem mangelnden Vertrauen der Wählerschaft in den demokratischen Prozeß in Guinea zum Opfer fallen. Viele Guineer haben Angst vor einer Wiederholung der blutigen Ereignisse nach der letzten Wahl 1993, als bei der Unterdrückung von Demonstrationen gegen die von der Opposition vermutete Wahlfälschung über 100 Menschen getötet wurden. Was bei dieser Wahl am meisten bewegt, ist also weniger das Ergebnis als die Reaktion der Aktivisten der verschiedenen Parteien. Die Opposition ist schon jetzt zwischen Resignation und Wut hin- und hergerissen. Alpha Condés RPG überlegt jedoch, im Falle einer Wahlfälschung ihre Anhänger auf die Straße zu schicken.

Die Lage ist auch deshalb unsicher, weil Präsident Contés Bilanz innerhalb seiner Partei umstritten ist. Im Februar 1996 entwickelte sich eine Armeemeuterei fast zum Militärputsch; der Präsidentenpalast ging dabei in Flammen auf. Mehrere beteiligte Offiziere wurden seither in der Haft gefoltert, und im Oktober verurteilte selbst Parlamentspräsident Boubacar Biro Diallo die Existenz von Folterzentren in den Militärlagern Kassa und Koundara.

So sind nach der Wahl zwei Szenarien denkbar: Entweder finden sich alle mit Contés Sieg ab, oder es gibt Unruhen und dann möglicherweise einen erneuten Putschversuch des Militärs. Die internationalen Geber, die die Wahl finanzieren, können damit nicht besonders glücklich sein. Internationale Organisationen wie die Weltbank versuchen, das bitterarme Land mit Strukturanpassungsprogrammen investorentauglich zu machen. Aber das hat bisher eher noch mehr Unzufriedenheit produziert. In den letzten zehn Jahren hat jeder zweite Staatsangestellte seine Arbeit verloren.

Vor dem Finanzministerium demonstrieren nun jeden Tag entlassene Staatsdiener. Sie halten Schilder hoch mit Aufschriften wie „Seit fünf Jahren kein Geld“. Auf der anderen Straßenseite wacht eine nervöse Präsidialgarde – neben dem Finanzministerium befindet sich seit 1996 das Büro des Präsidenten. „Wenn Sie nicht weggehen, werden Sie die Leute da drüben bloß ermuntern, und dann werden die uns angreifen“, erklären sie dem neugierigen Besucher – eine groteske Behauptung angesichts der schweren Bewaffnung der Garde. „Die sind feige“, heißt es zugleich in Richtung der Demonstranten. „Sie stellen Frauen in die erste Reihe.“

Unruhen? Dann ist ein Militärputsch denkbar

Conakry ist eine der heruntergekommensten Hauptstädte Afrikas. Die meisten Wellblechdächer sind verrostet, die meisten Wände haben ihren Putz längst verloren. Auf den Straßen verkaufen Jugendliche Wasser in Kanistern – nur 30.000 der 7 Millionen Guineer haben fließendes Wasser. Seit April hat die Regierung in Conakry 100.000 neue Feinde – damals wurde die hauptsächlich von Peul- Zuwanderern bewohnte illegale Slumsiedlung Kaporo-Rails von Bulldozern platt gewalzt, um einem Park von Bürotürmen Platz zu machen. Von den Bürotürmen ist bis heute nichts zu sehen.

Das Elend ist um so unverständlicher, als Guinea potentiell sehr reich ist. Das Land birgt die Hälfte der Bauxitvorkommen der Welt, die Eisenerzreserven liegen ebenfalls an der Weltspitze, und Bergbaufirmen aus aller Welt stehen Schlange, um Gold und Diamanten zu fördern.

Aber wenn am Sonntag eine so offensichtliche Wahlfälschung betrieben wird, daß es zum Aufstand kommt oder zu internationalen Sanktionen wie im Falle von Togo im Juni, wird der Enthusiasmus potentieller Investoren sich schnell wieder legen. Dies ist wohl der schwierigste Aspekt der Gratwanderung, die Präsident Conté mit dieser Wahl unternimmt. Für die Zeit danach hat er schon vorgesorgt: Der neue Präsidentenpalast, den er sich von der Volksrepublik China bauen läßt, ist fast fertig.

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