■ Das haben sie nun davon: Heißer Krieg zwischen Regalen
: „Operation Kassensturm“

Frank Brachow, 37, ehemaliger Unteroffizier der ehemaligen NVA der ehemaligen DDR, hat nach neunjähriger Arbeitslosigkeit endlich einen neuen Wirkungsbereich gefunden, in dem er sein ganzes militärisches Know-how einbringen kann: Der drahtige Mecklenburger beschützt mit seiner alten Dienst-Kalaschnikoff den Eberswalder Massa-Markt vor Übergriffen marodierender Arbeitsloser.

Marktschutz wird immer wichtiger, seit riesige Verbrauchermärkte wie Pilze aus märkischem Sand schossen, SB-Warenhausketten sich gegenseitig die begehrtesten Verkaufsflächen abjagten und Billiganbieter in jede sich bietende Baulücke drängten, um die Ostbürger 40 Jahre Mangelwirtschaft möglichst rasch vergessen zu lassen.

Doch mittlerweile droht den Konsumtempeln die Kundschaft auszugehen. Bei Arbeitslosenquoten um die 20 Prozent sitzt die Mark bei den meisten nicht mehr so locker wie im ersten Kaufrausch nach der Wiedervereinigung. Zunehmend machen sich Ernüchterung und Verbitterung breit. Viele wollen die bedrückenden Lebensverhältnisse nicht länger tatenlos erdulden – der angestaute Frust schlägt den Handelsketten jetzt in seiner ganzen elementaren Urgewalt entgegen. Der Zorn sich gedemütigt fühlender Ossis entlud sich bereits in einzelnen, spontanen Gewaltaktionen gegen die „Abkassierstationen“: Unter dem Kommando des Ex- Generals Horst Löwenik marschierte ein mit alten NVA-Panzern, Feldhaubitzen und Sturmgewehren bestens ausgerüsteter Trupp arbeitsloser Chemiewerker in Richtung Preiskauf Bitterfeld und nahm den 12.000 Quadratmeter großen Cash-&-Carry-Markt mit 45-Millimeter-Artillerie unter Beschuß. Erst als die Aufständischen mit sowjetischen T-42-Panzern in die Sauerkonserven-Straße einrollten, ergab sich die Belegschaft, die unter der Führung des Filialleiters Edgar Reipf erbitterten Widerstand geleistet hatte.

Ob die „Operation Kassensturm“, wie Bitterfelds Bürgermeister Ruhling meint, von alten Stasi- Seilschaften initiiert und organisiert war oder nicht, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Fakt ist, daß sich im Osten unseres Landes eine kleine radikale Minderheit gesammelt hat, die nicht länger bereit ist, noch länger auf all die Delikatessen zu verzichten, die in den Regalen lagern und die sie sich aufgrund ihres bescheidenen Einkommens nicht leisten können.

Ob es jedoch das Überraschungsei des Kolumbus ist, wenn einzelne Handelsriesen jetzt dazu übergehen, ihre Einkaufsmärkte durch Privatarmeen zu sichern, mag bezweifelt werden. Natürlich üben die Gubi-Legionäre, die in Grimma mit Schnellfeuergewehren die Kassen bewachen, eine abschreckende Wirkung auf etwaige Überfallkommandos aus, aber der Normalverbraucher zieht eben doch den Einkauf in einem Geschäft vor, das nicht mit Sandsäcken und Verdunkelungsvorrichtungen „gesichert“ ist. Nicht jeder schätzt eine Leibesvisitation nach dem Kauf einer Dose Ravioli, und nicht jeder empfindet es als überzeugende Umsetzung des Dienstleistungsgedankens, wenn ihm beim Griff in die Kühltheke der Lauf einer Maschinenpistole zwischen die Rippen gedrückt wird.

Sicherheitsexperten warnen denn auch schon davor, durch allzu martialisch ausgerüstete, paramilitärisch gedrillte Wachmannschaften in den Tempeln des Luxus ein Klima der Angst entstehen zu lassen. Ob es da der Weisheit letzter Schluß ist, unliebsame Kundschaft durch ferngesteuerte Einkaufswagen, die mit 38-Millimeter- Schnellfeuergewehren bestückt sind, fernzuhalten, sollte die Geschäftsleitung des Leipziger Billigland unter diesem Blickwinkel noch einmal gründlich überdenken.

Kein Wunder also, wenn sich jetzt Widerstandsorganisationen gebildet haben, die als Sammelbecken entlassener ehemaliger NVA-Soldaten fungieren und die Rückeroberung „besetzter Verkaufsflächen“ auf ihre Fahne geschrieben haben. Zwar ist die Ausrüstung mit ausgemustertem NVA-Material hoffnungslos veraltet, aber die Moral der in Guerillataktik operierenden Truppe ist bestens: Erste Erfolge wie die Einnahme des Massa-Markts Eberswalde beweisen ihre Schlagkraft.

Und der Unterstützung durch die Bevölkerung können sich die neuen Robin Hoods ganz sicher sein – nach der Eroberung des Groß-Discounters zwangen sie das Personal mit vorgehaltener Waffe, kostenlos die Bestände an die Einwohner zu verteilen. Rüdiger Kind