Wie sich eine Spionagegeschichte in nichts auflöst

■ Die Vorwürfe, Wiens Ex-Bürgermeister habe mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst zusammengearbeitet, sind haltlos. Gestern traf sich Zilk mit Präsident Havel in Prag. Ganz privat

Prag (taz) – Erst machen sie das Land vor der Welt lächerlich und jetzt auch noch das. Kein Wunder, daß Tschechiens Innenminister Václav Grulich letzte Woche die Haltung verlor. Wagte es der Pressesprecher des „Amtes zur Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus (UDV)“ doch, bei der Vorstellung seines neuen Chefs Grimassen zu ziehen. Er solle bloß den Mund ihm gegenüber nicht aufmachen, hatte Grulich vom Rednerpult gedonnert, während man sich unten fast geprügelt hätte.

Auf das UDV ist Grulich schon länger sauer. Gerade dieses Vergangenheitsbewältigungs-Amt soll geheime Informationen über eine angebliche Zusammenarbeit des Wiener Ex-Bürgermeisters Helmut Zilk mit dem tschechoslowakischen Auslandsnachrichtendienst weitergegeben haben. Die waren Ende Oktober publik geworden und hatten das ganze Land einschließlich des Präsidenten blamiert. Nicht nur hatte Václav Havel in letzter Minute Zilk eine staatliche Auszeichnung verwehren und so mancher Bürohengst sich tagelang mit neugierigen Journalisten herumschlagen müssen. Auch die Süddeutsche Zeitung war von allerhöchster Stelle der Erpressung beschuldigt worden. Außerdem wurde eigens eine Expertenkommission ins Leben rufen, die die Vorwürfe gegen Zilk untersuchen sollte.

Die Kommission hat ihre Untersuchungen jetzt abgeschlossen. Ergebnis: Die Vorwürfe gegen Zilk seien unberechtigt, konnte Prags Mann in Wien, Jiri Grusa, Zilk schon letzten Freitag unterrichten. Tschechien bedaure die ganze Geschichte, offiziell hat sich das Land bis jetzt noch nicht bei Zilk entschuldigt und hat auch nicht vor, das zu tun.

Gestern war Zilk erst einmal in Prag. Nicht, um sich seine Geheimdienst-Akte anzuschauen, sondern um sich einfach so mit Präsident Havel privat zu treffen. Ganz am Anfang der Affäre hatte Zilk zwar verlauten lassen, er würde sich seine Akte gern anschauen, aber da hatte Innenminister Grulich gleich abgewehrt. Als Ausländer hat Zilk nicht in tschechischen Geheimdienst-Akten herumzuschnüffeln, auch nicht, wenn sie ihn betreffen. Aber was sind schon Gesetze. Es gibt Möglichkeiten, sich über Akten zu informieren. Wäre Zilk Ende Oktober zufällig in eine Prager Gerüchteküche gestolpert, hätte er schon damals erfahren, wozu eine Expertenkommission einen Monat gebraucht hat. „Ja, die Zilk-Akte“, wußte manch einer im Flüsterton zu berichten, „total langweilig. Was der Zilk da so erzählt hat, alles irrelevant. Von Spion keine Spur.“

Oder Herr Zilk hätte irgendwie wissen lassen können, daß er bereit sei, sich für die Zuspielung seiner Akte zu „revanchieren“. Bestimmt hätte sich jemand gemeldet: geheime Losungen, konspirative Treffen, unterschriebene Schecks, befriedigte Neugier. Aber, wie jetzt jeder weiß, Zilk ist ein Ehrenmann, der sich zu so etwas nicht herablassen würde. Bleibt noch die ganz legale Methode. Der Wiener könnte die tschechische Staatsbürgerschaft annehmen. Seine Vorfahren kommen aus Böhmen, er ist Prager Ehrenbürger. Als tschechischer Staatsbürger kann er offiziell beim Prager Innenministerium um Akteneinsicht ersuchen.

Von den ehemals 600.000 Geheimdienst-Akten sind noch etwas über 60.000 erhalten geblieben – im Gegensatz zur Stasi haben die tschechoslowakischen Genossen öfters mal aufgeräumt. Auf Antrag hin können diese in einer eigens dafür eingerichteten Stelle im ostböhmischen Pardubice eingesehen werden. Ob die Herren Zilk und Havel gestern abend überhaupt über die leidige Affäre sprachen, braucht die Öffentlichkeit erst gar nicht zu interessieren, weil das Treffen ja privat war. Allein die Tatsache, daß es stattfand, zeigt, daß Zilks Ehre wiederhergestellt ist, sogar, daß sie nicht von ein paar Aktenschnüfflern und Kugelschreiberhelden zerstört werden kann. Alexandra Klaus