Arztroman, Folge 2: Das Durchstreichprogramm Von Fanny Müller

Raus aus dem Spital, rein in das Spital – jetzt aber Reha genannt. Die Zimmer sind ganz ordentlich, so ungefähr wie Hotelzimmer, bloß ohne Minibar. Darauf war ich ja schon gefaßt, aber nicht darauf, daß ich schnurstracks entmündigt werden sollte. Ich weiß gar nicht, was die Leute immer gegen Lehrer haben; Ärzte sind viel schlimmer.

Der erste Doktor erscheint und stellt die üblichen Fragen. An dieser Stelle muß ich mal jedem Raucher und jeder Raucherin sagen: Geben Sie um Himmels willen nie zu, daß Sie rauchen, selbst wenn Sie mit einer Zigarette in der Pfote erwischt werden. Behaupten Sie dann irgendwas, das Ihnen gerade einfällt, z.B. daß Sie gar nicht wüßten, was das ist: „Was – das ist eine Zigarette? Ohne Scheiß?“ Egal nämlich, ob Sie Lungenkrebs haben oder sich ein Bein brechen sollten – immer sind Sie selber dran schuld. Na, ich war so dämlich und habe die Wahrheit gesagt. Darauf der Doktor (der hätte übrigens mein Sohn sein können; jedenfalls vom Alter her, aber nicht vom Aussehen): „Wollen Sie nicht die Gelegenheit nutzen und hier mit dem Rauchen aufhö...“ Ich: „Nö.“ Überflüssigerweise füge ich noch hinzu, daß dies mein einziges Laster sei. Er, träumerisch die Tapete anstarrend: „Muß man denn überhaupt ein Laster haben ...“ Ich: „Ja.“ Dann schalte ich auf Durchzug, weil jetzt der Vortrag kommt, den ich viel besser hätte halten können. Ich wußte nämlich schon alles übers Rauchen, als der noch kreuzweise in die Windeln geschissen hat. Als er wieder weg ist, schaue ich in das grüne Heft, das alle Patienten kriegen und worin angekreuzt wird, an welchen rehabilitierenden Maßnahmen man teilnimmt. Der Doktor hat „Raucherentwöhnungsgruppe“ angekreuzt. Das habe ich natürlich sofort durchgestrichen.

Am nächsten Tag kommt der nächste Arzt, der, auch wiederum abgesehen vom Aussehen, mein Sohn hätte sein können und tritt die nächste Mine los. Ich teile ihm dies und das mit, und daß ich im übrigen nicht gewillt sei, Margarine und Süßstoff zu mir zu nehmen, sowas habe ich nach dem Krieg genug gefressen, jedenfalls Margarine. „Gefressen“ habe ich natürlich nicht gesagt, ich bemühte mich sogar um einen elaborierten Code, damit das Medizinerhirn begreift, daß auch ganz normale Menschen Wörter wie „Aortenaneurysma“ aussprechen können, ohne zu stottern. Dabei dachte ich flüchtig an Tante Mimi, die nach jedem Krankheitsbericht in ihrer Freitagnachmittags-Tortengruppe immer sagte: „Das ist ja direkt pathologisch!“ Jedenfalls kam dann der in diesem Spital vorgeschriebene Standardsatz: „Wollen Sie nicht die Gelegenheit nutzen und...“ Ich soll meine Ernährung umstellen! Ha! Was ich in einer Woche an frischem Gemüse aufesse, hat der in einem Jahr noch nicht gesehen. Daß ich nicht lache. Meine Ernährung umstellen. Und das an einem Ort, wo das Essen so durchgekocht ist, daß Hundertjährige es problemlos ohne Zähne schlürfen können. Nun ja, ein Blick in das grüne Heft genügte. Angekreuzt hatte er „Ernährungsberatung“. Praktisch war ich die ganze Zeit nur am Durchstreichen.

Bis ich dann zufällig im Fahrstuhl eine ewig nicht gesehene Bekannte traf, die in dem Laden eine Menge zu sagen hat, und die sagte dann auch allen, daß ich eine linke Emanze sei, die alles aufschreibt. Da war dann Ruhe.