Mitarbeit am Mythos Manchester

■ Schönheit und Stilsicherheit: Mit ihrem Debüt „Northern Sulphuric Soul“ versucht sich das Produzentenduo Rae & Christian – mit Erfolg! – am perfekten britischen Clubsoul-Machwerk

Auf Manchester lastet Bedeutung wie Brücken auf Stahlträgern. Die arbeitslosen Kinder der Working Class sagten rückhaltlos „Ja!“ zu jedem Exzeß und erfanden nebenher oder vielleicht auch dabei am Ende der achtziger Jahre unser aller Rave. Dann hob ganz England ab, während Manchester sich als die verstrahlteste Stadt des Universums etablierte. Als die Raver der ersten Stunden schon längst abgetreten waren, um sich auszuschlafen, ließen Oasis auf Rock das Prinzip des entfesselten Manchester-Jungs-Größenwahns noch einmal aufleben: dumm, schlau, scheiße, cool. Oder? Oder sollte es jetzt nicht an der Zeit sein, die Lagerhalle der Mythen zu entrumpeln? Zeit, sich die Frage zu stellen: What's Schrott, what's not?

„Eigentlich“, und mit diesem Wort muß jede gute Neuinterpretation von Gewesenem beginnen, „eigentlich war alles gar nicht so großartig“, sagt Mark Rae. Rae ist Teil des Produzentenduos Rae & Christian, das mit „Northern Sulphuric Soul“ derzeit sein Debüt- Album herausgebracht hat. Doch dazu später mehr. Ein wenig erleichtert scheint Rae fast zu sein, daß die Tage von „Madchester“ gezählt sind: „Diese Geschichten von den tausend Clubs und Bands waren schon ziemlich übertrieben. Außer den Stone Roses und den Happy Mondays war der Output sowieso eher substanzlos.“ Nach einer kurzen Honeymoon-Phase sei es zu Ende gewesen mit der Energie. Vor allem die Besitzer großer Clubs bereicherten sich an der ausgebrochenen Tanzwut, der Rest der Szene stagnierte: „Was bringt es schon, wenn Tausende von Verkäufern und Bankangestellten sich jedes Wochenende mit Pillen vollknallen, um zu ,Four to the floor‘- Beats zu tanzen? Nicht viel, um ehrlich zu sein. Es ist nicht sonderlich innovativ“, sagt Rae. Lange hält das sowieso keiner durch, und es folgte bald der Zusammenklapp der Partyindustrie. So schnell wie sie aufgemacht hatten, schlossen viele der großen Clubs wieder, und auch musikalisch war irgendwie die Luft raus. Womit unweigerlich der Punkt kommt, an dem man sich als Musiker und Szene selbst neu erfinden muß.

Zeit für Rae & Christian, die Bühne zu betreten. Und wenn Mark Rae nicht so grundgut, geerdet und intelligent erscheinen würde, wäre diese Geschichte ein bißchen schleimig. Denn: Das Gute hat gesiegt! Die Jungs, die schon immer eher auf die Vernetzungseffekte des eigenen Plattenladens und Labels setzten denn auf die zweifelhaften Verlockungen der großen, bösen Plattenindustrie, haben gewonnen. Mit Rae & Christian gibt es kein Geschrammel, kein Delirium und keine Fragezeichen. „Northern Sulphuric Soul“ ist ein wertkonservatives Album. Es geht um „das perfekte, britische Machwerk“ à la „Massive Attack“ und „Soul II Soul“. Um Schönheit und Stilsicherheit. Und um Geschichtsbewußtsein: „Wir wollen den Soul in die Musik zurückbringen. Den echten 70er-Jahre-Album-Soul“, sagt Rae. Nun sind Rae&Christian keine Revival-Band. Was sie mit „Northern Sulphuric Soul“ aber betreiben, ist ein Harmonie-Revival. Sie klaubten sich Vokalisten aus allen Ecken zusammen: von der Rockband „Texas“, über die Soulsängerin „Veba“ bis hin zu HipHop-Stars wie den „Jungle Brothers“, und steckten sie in verschiedene Gewänder. „Northern Sulphuric Soul“ ist aus den Materialien HipHop, Dance und Downtempo/TripHop geschneidert. Es sitzt tadellos, und vielleicht ist es genau das, daß man sich an einigen Stellen wünscht, daß der fließende Sound- Stoff durch irgendwas Unvorhersehbares zerrissen wird. Daß das Album an irgendeiner Stelle anmerkt: „Hey, ich weiß, daß ich den ganzen, ganzen Tag auch in spießigen Designerwohnungen und Architekturbüros hoch- und runtergenudelt werden kann, deshalb: Nimm dies!“ Und zack, spratzt an irgendeiner Stelle etwas anderes herein. Denn um einfach nur schön, schön, schön zu sein, wie Soul es nun mal so an sich hat, ist das Album dann doch nicht erhaben oder tragisch genug. Trotzdem, zum Ende des Jahres findet sich mit „Northern Sulphuric Soul“ noch ein besonders schimmernder Kieselstein im Schotterhaufen der Popmusik. Und Manchester hat jetzt auch Popstars mit Abitur, von denen sicherlich noch mehr zu erwarten ist als nur ein kurzes Leuchten. Heike Blümner

Rae & Christian: Northern Sulphuric Soul (Grand central records)