Viele neue Sero-Chefs

■ Das alte Management verhaftet, die Entsorgungsfirma unter die Lupe genommen

Berlin (taz) – Krisen-Pressekonferenz gestern bei der Euro Waste AG (EWS). Dieser Aktiengesellschaft gehören die Entsorgungsfirma Sero und die damit verbundene Lösch AG. Und von diesen beiden AGs wurde in der vergangenen Woche der halbe Vorstand und Aufsichtsrat von der Bielefelder Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft genommen. Auch den EWS-Brüdern Johannes und Dieter Löbbert aus Dülmen wurden Bilanzfälschung, Kreditbetrug und Verstoß gegen das Börsengesetz vorgeworfen. Die Höhe der Manipulationen: Zwischen 1991 und 1997 seien Scheinrechnungen bis zu 262 Millionen Mark ausgestellt worden, um die Bilanzen zu schönen und die Aktienkurse in die Höhe zu treiben.

Gestern kündigte der verbliebene EWS-Vorstand samt Gläubigerbanken „rückhaltlose Aufklärung“ der Vorwürfe an. Die 5.000 Arbeitsplätze sollen erhalten werden – was gelingen könnte, wenn das Eigenkapital wie angegeben bei 440 Millionen Mark liegt. Die Gläubigerbanken wie Deutsche, Dresdner und Commerzbank müssen aber weiter Geld zuschießen, so die EWS.

Mitgefangen wurden letzte Woche auch Manager des Löbbert- Unternehmens Sero Entsorgung AG in Berlin – einer Firma, die früher unter Umweltschützern einen guten Ruf genoß. So gut, daß Sero- Anteile den Weg in die Portefeuilles ökologischer Anleger und in den von der taz regelmäßig veröffentlichten Naturaktienindex (NAX) gefunden haben.

Den guten Ruf hat die von den Löbbert-Brüdern 1991 aufgekaufte Entsorgungsfirma aus DDR-Zeiten herübergerettet. Bis 1990 war es Aufgabe des Unternehmens, „Plaste“ und Papier getrennt zu sammeln. 17.000 Sammelstellen in kleinen Läden sicherten die flächendeckende Entsorgung der Bürger, die Geld für ihre sauberen Abfälle bekamen. Der Sero-Börsengang im März 1995 schien darum auch umweltbewußten Anlegern die Chance zu bieten, ihr Geld ohne schlechtes Gewissen an der Börse zu vermehren.

Doch schon vor den jüngsten Verhaftungen litt auch ökologisch der Ruf der Sero: Von den 17.000 Sammelstellen sind noch etwa 100 in Betrieb, dies können allerdings auch unbebaute Grundstücke in Nebenstraßen sein, wo einfache Container für Papier, Kunststoffe oder Glas stehen. Aber auch an den festen Annahmestellen werden fleißige Sammler nicht mehr mit Geld belohnt, sondern bekommen Geschenke. 2.000 Kilogramm Altpapier reichen dabei gerade für einen Spielzeuglaster. Entsprechend liegt der Anteil der Sammelstellen am Materialumsatz laut Sero-Chef Wagner nur noch bei zwei bis drei Prozent. Die Geschäftsberichte der Sero geben allerdings weiter an, private Haushalte „hauptsächlich“ über solche Sammelstellen zu entsorgen.

Dabei erzielt die Sero heute über 90 Prozent ihrer Umsätze durch die Entsorgung von Firmenkunden, dem Schrottrecycling und der Zusammenarbeit mit der Grüner Punkt Firma DSD. Als Anbieter eines „für Entsorgungsbetriebe ganz normalen Leistungsmixes“ sieht darum die Sprecherin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe, Sabine Thümler, die Konkurrenten von der Sero AG.

Andere Branchenkenner äußern sich zu Sero nur hinter vorgehaltener Hand. Verwertungsquoten von 87 Prozent beim Recycling von Computern für die Firma Siemens, auf die Sero stolz pocht, seien „sehr unrealistisch“, wenn man nicht einen Teil des kaum verwertbaren Innenlebens der alten Rechner „thermisch verwertet“, so Insider. Gerade das bestreitet allerdings Sero-Chef Wagner.

Die ÖTV wiederum wirft Sero seit Jahren vor, daß sie ihre Angestellten im Schnitt 600 Mark schlechter bezahlt als der Tarifvertrag für die Entsorgungswirtschaft das vorsieht. Der Investmentfonds Ethik in Köln hat darum nach ersten taz-Berichten vom Februar 1997 über die Arbeitsbedingungen bei Sero schon im Mai desselben Jahres seine Beteiligungen abgestoßen. Marcus Franken