Brauen unter Bierverächtern

In Ägypten braut sich was zusammen. Lange hat man im Land am Nil unter dem staatlich produzierten Stella-Bier gelitten. Als gepanschter Kamelurin war das eklige Gebräu lange Zeit verschrien, so daß selbst die Ägypter, die sich von ihrer Religion eigentlich nicht vom Biergenuß abhalten lassen, lieber auf den einheimischen Gerstensaft verzichteten. Dabei blickt Ägypten auf eine große Biertradition zurück. Denn schon die Pharaonen zapften sich gerne mal ein Dattelbierchen. Seit gut einem Jahr befindet ich die einzige Brauerei des Landes in privater Hand. Die Qualität des Getränks hat sich stark verbessert, doch die Braumeister kämpfen nicht nur gegen das miese Image, sondern inzwischen auch gegen religiöse Tabus. Ein Lagebericht  ■ von Karim
El-Gawhary

Echte Menschenretter sind rar. Die meisten werden sich da an eine Arche mit dem Steuermann Noah erinnern oder an die Erfindung des Penicillins durch den Bakteriologen Alexander Fleming, aber kaum einer daran, wie das Bier einst die Menschheit vor ihrer Vernichtung bewahrt hat.

Nach einem Mythos der alten Ägypter war es die Göttin Hathor, die ausgezogen war, um dem Menschengeschlecht den Garaus zu machen. Fast wäre es ihr gelungen, wenn nicht der Gott Ra in letzter Sekunde eingegriffen hätte: Er ließ die Felder, auf denen Hathor ihr Zerstörungswerk begonnen hatte, mit einer Mischung aus Bier, Menschenblut und einem Zauberfruchtsaft fluten. Als Hathor am nächsten Morgen zurückkehrte, nahm sie einen großen Schluck des Gebräus. Daraufhin verlor sie alle Nüchternheit, so daß sie die Menschen nicht mehr erkannte.

Deshalb hatten also die alten Pharaonen schon von der Kunst des Bierbrauens gehört. Bier war sogar ein wichtiger Bestandteil pharaonischer Diätplanung. Das Getränk war so beliebt, daß man sogar auf Grabreliefs fröhlich betrunkene Pharaonen abbildete. Das Brauen ging auf recht eigenartige Weise vor sich: Alte Abbildungen zeigen getrocknete Gerstenkuchen, die auf einem Sieb über einen Bottich gelegt wurden und mit Wasser übergossen wurden, bis sie sich aufgelöst hatten. Die so entstandene Masse ließ man dann gären und würzte das frische Bier mit Datteln.

Sechstausend Jahre später erfreut sich der Gerstensaft in der Wiege der Pharaonen nicht mehr der gleichen Beliebtheit, was religiöse Gründe hat.

„Gott hat alkoholische Getränke verflucht und all jene, die sie zubereiten, probieren, transportieren, ebenso wie jene, denen es geliefert wird, jene die es verkaufen, kaufen, servieren und denen es serviert wird“, heißt es in einer Überlieferung des Propheten Muhammad.

In Ägyptens einziger Brauerei, der Al- Ahram Beverages Company (ABC), zeigt man sich indes trotz dieser gesellschaftlichen Tabuisierung ihres Hauptproduktes zuversichtlich. ABC's Stella Bier ist bereits seit hundertundeinem Jahr eine feste Institution im Lande. „Wir machen enormen Profit mit jedem unserer Produkte“, erklärt der Sprecher der Firma offen. „Sicherlich, wir sind ein islamisches Land, aber trotzdem verkaufen wir eine halbe Million Hektoliter Bier im Jahr“, berichtet Imam Muharram, der in der Brauerei den Produktionsprozeß überwacht.

Auch seine Mitarbeiter sehen die zwiespältige Haltung des Islam zum Bier eher gelassen. Sami Asem hätte sich zwar während seines Studiums der Agrarwissenschaften nie träumen lassen, irgendwann einmal hier an diesen Braupfannen zu arbeiten, jetzt hat er sich damit abgefunden. Schließlich trinke er ja selber nicht.

Doch mit solchem Pragmatismus kann die Brauerei nicht überall rechnen. Um sich gegen einen wachsenden konservativ- religiösen Trend abzusichern, hat man die Produktpalette vergrößert. Nicht nur Limonade und Cola gehören jetzt zum Sortiment, sondern auch alkoholfreies Bier. Gerade hat man außerdem mit der Guinness-Brauerei ein Abkommen über die Produktion und den Export alkoholfreien Bieres in dem nahöstlichen Markt geschlossen. Ein wachsender Markt, der alle religiösen Bedenken zum Bierkonsum hinter sich läßt.

Schon jetzt sind ungefähr vierzig Prozent der Produktion von ABC alkoholfrei. Für die nächsten drei Jahre wird in diesem Bereich ein Wachstum von 120 Prozent erwartet. Die heißen Sommer, etwa in Saudi-Arabiens Wüste, werden das religiös unverfängliche Bier fast automatisch zum Renner machen. Allein dort wird der Markt auf hundert Millionen Dollar jährlich geschätzt, mit Wachstumsraten von dreißig Prozent und mehr.

Hartnäckig halten sich auch die Gerüchte, daß sich alkoholfreies Bier leicht zu einem alkoholischen machen läßt. Ägyptische Arbeiter in Libyen, wo der Konsum von Alkohol strikt untersagt ist, sollen das dort erhältliche alkoholfreie Bier mit Hilfe italienischer Nudeln zum Gären gebracht haben. Trotz des Erfolges des antialkoholischen Gerstengetränkes gibt es für ABC auf dem ägyptischen Markt noch viel zu tun.

Vor allem für ihr alkoholhaltiges Produkt hat die Mission erst begonnen. „Es gibt religiöse und bürokratische Schwierigkeiten“, räumt aber ein Firmensprecher ein, und das, obwohl nach dem Gesetz jedes ägyptische Produkt überall im Land verkauft werden darf.

Im südlichen Oberägypten hat Alkohol einen sehr wichtigen Stellenwert, nicht nur wegen des relativ hohen Anteils christlicher Kopten an der Bevölkerung. Auch einige traditionelle Hochzeiten der islamischen Art werden dort im Bierrausch gefeiert. Dummerweise ist gerade Oberägypten auch als Hochburg der militanten Islamisten bekannt.

Um Ärger zu vermeiden, haben mehrere Provinzverwaltungen den Verkauf von Alkohol völlig verboten. Zum Leid der Brauer: „Oberägypten ist eigentlich eine Goldgrube – ein unangezapfter Markt“, trauert Fateen Mustafa, Chefin von ABCs Marketingabteilung, den ungenutzten Verkaufschancen nach. „Jetzt schmuggeln wir eben das Zeug, als sei es Haschisch“, beschreibt ein Mitarbeiter die Situation.

Manchmal sind es auch einfach nur einzelne Polizisten, die die Gesellschaft in eigener Regie vor den Lasten des Alkohols bewahren wollen. So etwa ein Polizist in Alexandria, der ohne höhere Anweisung regelmäßig die Brauereifahrer verhaften und das Frachtgut konfiszieren läßt.

Kein Wunder also, daß sich der Bierkonsum an den Ufern des Nils in Grenzen hält. Im Schnitt trinkt jeder Ägypter nicht mehr als 0,6 Liter alkoholisches Bier im Jahr. Zum Vergleich: In Tunesien sind es acht, in der Türkei zwölf und in Deutschland 140 Liter. Vor zehn Jahren lag der ägyptische Durchschnittsverbrauch noch bei 1,6 Litern.

Ein zunehmend konservatives Klima im Land will ABC für diese Absatzeinbrüche nicht verantwortlich machen. Die Brauer sagen, der Rückgang liege daran, daß die sich bis vor kurzem in Staatsbesitz befindende Brauerei den Ruf des Bieres völlig ruiniert hat. Fast schon sprichwörtlich war die schlechte Qualität des staatlichen Stella-Bieres.

In der Ausländergemeinde wurden über diese Biersorte Witze gerissen: „Es war einmal ein Amerikaner, der brachte eine Flasche Stella zu einer Laboruntersuchung in seine Heimat. ,Ich habe eine schlechte Nachricht', sagte der Laborant nach Untersuchung der Probe mit betretener Miene: ,Ihr Kamel hat Zucker.'“ Doch seit der Betrieb vor einem Jahr privatisiert wurde, sind die ägyptischen Biertrinker von ihrem Leid befreit. Die Qualität des Bieres hat sich merklich verbessert.

Vor kurzem haben zwei weitere Brauereien Aktivitäten auf dem ägyptischen Markt angekündigt. Eine davon will in Zusammenarbeit mit der Münchner Löwenbrauerei eine Produktionsstätte am Roten Meer eröffnen.

Die Zeiten der Wahl zwischen schlechtem lokal produziertem Bier und importiertem Bier mit dreihundertprozentigem Zollaufschlag scheinen jedoch vorbei.

Denn inzwischen ist selbst das ehemals Undenkbare möglich geworden: Werbung für Bier in einem islamischen Land. Die ersten Versuche, Bier zu bewerben, wurden in der englischsprachigen Presse unternommen. Nachdem sich kein Widerstand regte, wagte das Haus, einige Anzeigen in der arabischen Presse zu schalten. In ihrem Kampf um neue Konsumenten läßt die Marketingabteilung nichts aus. „Wir wollen eine Bierkultur schaffen“, heißt es mit Blick auf diesen Markt.

Auch die alkoholkonsumierende ägyptische Oberschicht, die normalerweise Whiskey bevorzugt, soll die Vorzüge des Gerstensaftes erkennen. Dazu wurde unlängst sogar ein etwas stärkeres Yuppiebier in kleinen 0,3-Liter- Flaschen mit dem Namen „Premium“ auf den Markt gebracht. Dieses Bier kann man sich auch nach Hause liefern lassen. Dezent abgedeckt, versteht sich. Denn eine alte ägyptische Volksweisheit lautet: „Wer Alkohol trinkt, dem kann man auch ansonsten nicht über den Weg trauen.“ Da hält man den eigenen Bierkonsum vor den Nachbarn lieber geheim.

Weit weg von ABC's klimatisiertem Verwaltungsgebäude liegt Hadaya Quba, eines von Kairos Wohnvierteln der verarmenden Mittelschicht. Hier befindet sich die Frontlinie des Bierkampfes im arabischen Feindesland. Meterhoch aufgestapelte Bierkisten geben der ABC-Filiale das Flair einer Kreuzritterburg.

Hier wird Alkohol legal und mit Lizenz verkauft. Die meisten Kunden sind selber Händler, die hier ihren Nachschub besorgen, den sie dann – selbstverständlich illegal – weiterverkaufen.

Aber auch in Hadaya Quba gab es schon bessere Zeiten. Waren es vor sechzehn Jahren noch über sechshundert Händler, die sich hier eingedeckt haben, sind es heute nur noch 57.

So mancher, der mit größeren Mengen Bier den Laden verlassen hat, stieß draußen auf Schwierigkeiten mit der Polizei. Ein paar Flaschen zum eigenen Konsum sind erlaubt. Aber einige Kästen? Kaum. Auch im Laden selbst ist man sich, trotz Lizenz, seiner Sache nie ganz sicher: „Nicht einmal meine Familie weiß, daß ich hier arbeite“, sagt einer der Angestellten.

Mit der Nachbarschaft hat man sich arrangiert. Die konservativen Betgänger einer benachbarten Moschee haben dem Laden längst freundlich nahegelegt, wenigstens am geheiligten Freitag die Tore geschlossen zu halten.

„Selbstverständlich sind wir dem nachgekommen“, erklärt der Leiter des Ladens, ohne auf die Folgen einzugehen, die es gehabt hätte, wenn er sich nicht kooperativ gezeigt hätte. Wie alle Mitarbeiter im Laden ist auch er Muslim.

Ob er seine Arbeit mit seiner Religion vereinbaren kann? Seine Antwort ist pragmatisch: „Was kann ich tun? Es ist alles festgeschrieben. Gott hat mir eben meinen Platz hier zugewiesen.“

Karim El-Gawhary, 35, Islamwissenschaftler und Biertrinker, lebt in Kairo und ist seit 1990 Nahostkorrespondent der taz