Virtueller Falk-Plan

Tokio anhand von Videospielen entdecken: Die Ausstellung „Tokyo Techno Tourism“ im „kunst + technik“  ■ Von Tilman Baumgärtel

Die Baracke am Spreeufer gegenüber vom Bodemuseum in Berlin-Mitte wird sich wohl in den nächsten Wochen in eine Spielhalle verwandeln. Normalerweise organisiert hier der Verein „kunst + technik“ Vorträge, Partys und andere Veranstaltungen. Doch seit Freitag kann man hier japanische Videospiele ausprobieren. Das dient in diesem Fall allerdings nicht einfach dem Zeitvertreib. Die Games, die hier zu sehen sind, sind Teil einer kulturwissenschaftlich orientierten Ausstellung, die die spezifisch japanische Videospielkultur erforschen will.

„Tokyo Techno Tourism“, so der Titel der Ausstellung, die „kunst + technik“ zusammen mit dem Berliner Computerspiele- Museum ausrichtet, nähert sich ihrem Sujet auf eine interessante Weise. Die Spiele sind verschiedenen Stadtteilen in Tokio zugeordnet, die Ausstellung ist eine Art „Stadtführer“, die den realen Stadtraum mit dem virtuellen Raum der Computerspiele verbindet.

Im Halbkreis stehen die Spielkonsolen im Raum und blubbern leise vor sich hin. In ihrer Mitte befindet sich Professor Masuyama, der die Ausstellung im Auftrag des TV-Game-Museums Japan zusammengestellt hat. Er hat eine Kangol-Mütze verkehrt herum auf dem Kopf sitzen und führt den Damen und Herren von der Presse den kleinen Golfschläger mit dem Digitaldisplay vor, mit dem man auch in der kleinsten japanischen Einzimmerwohnung einen Golfplatz simulieren kann.

Es war seine Idee, die Ausstellung nach dem Vorbild der Stadt Tokio aufzubauen: „Es gibt viele Filme – wie zum Beispiel ,Roman Holiday‘ oder ,Der Himmel über Berlin‘ –, die eine bestimmte Stadt als zentrales Motiv behandeln. Bei den digitalen Medien könnte man jedoch sagen, daß das Medium an sich mit dem Bild der Stadt Tokio übereinstimmt. Als ich darüber nachdachte, daß wir immer mehr in einer fiktiven Medienwelt und in der realen Stadtwelt gleichzeitig leben, erkannte ich, daß Videospiele hervorragend als eine Art Reiseführer zu gebrauchen sind. Egal ob Sie mit Tokio vertraut sind oder nicht, entdecken Sie hier Ihr ganz eigenes Tokio.“

Entsprechend wird der Besucher der Ausstellung bereits am Eingang mit einem Geräuschteppich empfangen, der „typisch Tokio“ sein soll: Handys piepsen, Anrufbeantworter antworten, im Hintergrund hört man Verkehrslärm und schnatternde Fernsehstimmen. Doch Tokio ist nicht nur eine durch und durch medialisierte Stadt, sondern auch eine, die sich in permanentem, atemberaubend schnellem Wandel befindet.

So wie bei einem Videospiel alles aus Bits und Bytes aufgebaut ist und jederzeit komplett umgebaut werden kann, so wird auch Tokio ununterbrochen „neu formatiert“, wie zum Beispiel das Ballerspiel „Scramble Formation“ in der Ausstellung zeigt.

Videospiele als Opium und Ersatzreligion

Während der Spieler mit einem roten Doppeldecker auf Ufos ballert, sieht man unter ihm das moderne Tokio vorbeiziehen: Außer wenigen historischen Gebäuden ist hier alles neu, kein Haus wurde vor 1960 gebaut, wie das Videospiel mit akribischer Detailtreue demonstriert.

Heute gibt es kein anderes Land, in dem die digitale Freizeitgestaltung einen so großen Stellenwert hat wie in Japan. Computerspiele sind im Alltag wesentlich akzeptierter als in Deutschland; die Otakus, fanatische Gamer, haben aus ihnen sogar eine Art Ersatzreligion gemacht. Experten schätzen, daß japanische Spiele wie die „Super Mario Brothers“ oder „Virtua Fighter“ 60 Prozent des internationalen Videospielmarktes beherrschen. Wenn Sega, neben Nintendo der führende Spielehersteller Japans, eine neue Spielkonsole auf den Markt bringt, berichten die Tageszeitungen auf der Titelseite über die Neuigkeit.

Um auf dem internationalen Markt bestehen zu können, sind die meisten Games auf ein globales Publikum abgestimmt. Einige der Spiele, die in Berlin zu sehen sind, sind aber freilich sehr japanisch und sehr eigenartig. Ihre Mischung aus „prämodernen Vorstellungen und postmoderner Technologie“ (Masuyama) dürften bei Gamern aus Deutschland eher Irritation auslösen. So zum Beispiel „Uniform Wars“, bei dem die Schuluniformen von einigen japanischen Schulmädchen magische Kräfte besitzen. „In Japan gelten Schuluniformen auch außerhalb der Schule als todschick“, erfahren wir, „in der Erwachsenenenwelt haben sie teilweise sogar Fetischcharakter.“

Auch das Spiel „Bust-a-move“ dürfte es bei deutschen Gamern wahrscheinlich schwer haben: Bei dem „Action-Tanzspiel“ müssen sich die Protagonisten zur Abwechslung mal nicht zu Brei schlagen, sondern beim Tanzen übertreffen! Weniger gewöhnungsbedürftig ist dagegen „Wagan Trail“, bei dem man auf einem Express- Highway durch Tokio rasen kann Auch hier ist die Autobahn minutiös nachgebildet, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Normalerweise kann man sich auf dieser Strecke wegen Überfüllung nur mit etwa 10 Stundenkilometern voranbewegen!

Ein kleiner Raum innerhalb der Ausstellung ist den japanischen Kindern gewidmet. Auf großen Kissen in Gelb und Pink sehen wir auf der einen Seite Fotos von Spielzeug und ihren Inhabern, auf der anderen Seite kurze Texte über das Leben von Kindern in Tokio. In Berlin können sich jetzt die deutschen Kids an Nippons Spiele machen.

Bis 27.12. im „kunst + technik“, Monbijoustr. 2–3, Mitte, von Di.–So., 14–22 Uhr. Heute um 19 Uhr „Japanische Videospiele-Kultur im Gespräch“; 16.12., 20 Uhr: Marc Gloede: „Architektur im japanischen Film“ (Vortrag mit Filmausschnitten); 18.12., 20 Uhr: Volker Grassmuck: „Japogames und Japanimation“ (Vortrag mit Film)