Tusche über eine zerronnene Liebe

■ Helden privat: Der Württembergische Kunstverein zeigt Arbeiten des Literaten, Journalisten und Fotografen François-Marie Banier

Mit Fotografie kann man Zeit ebensogut darstellen wie kaschieren. Ein Beispiel dafür ist derzeit in Stuttgart zu sehen: „Privat Heroes“, die erste deutsche Ausstellung des Fotografen, Literaten und Journalisten François-Marie Banier. Unter 10.000 Fotos hat Kurator Martin Hentschel das Material ausgewählt, das neben den eigentlichen Motiven, nämlich Menschen, auch die Abhängigkeit von Fotografie und Zeit zeigt. Obwohl Banier eben diese ausdrücklich thematisiert, etwa in Bildreihen vom Verfall alternder Personen, konstruiert er gleichzeitig das Gegenteil: klassische Schwarzweißfotografie, die fast durchgängig älter wirkt, als sie tatsächlich ist.

Gänzlich unangekränkelt von aller Düsternis und den Brüchen, die Fotografen wie Robert Frank, Diane Arbus oder Nan Goldin der fotografischen Neuzeit mitgegeben haben, zeigt Banier seine Gegenüber – aus dem Leben gegriffen, manchmal überraschend, oft mit großer Vertrautheit: der alte Michel Piccoli halbnackt im Frottiertuch, Eric Rohmer beim Seilspringen, Françoise Sagan gedankenverloren, Mick Jagger sich selbst das Gesicht zerknautschend.

Dabei kann das offenkundig große Herz des Fotografen, in dem auch namenlose Passanten, skurrile Typen und unbekannte Kinder Aufnahme finden, bisweilen zum Problem werden. Denn Banier ist so entschieden freundlich zu seinen Modellen, daß er manchmal nur banale Dekoration produziert: Eine Frau wie Isabelle Adjani kann dem Fotografen noch so weit die Zunge herausstrecken – dergleichen bleibt pure Pose, die weder die sensationelle Schönheit des Modells ankratzt noch irgend etwas Bewegendes über die Person aussagt. In solchen Fällen hilft dem Werk auch die teils monumentale Vergrößerung nicht, die Banier einigen Motiven angedeihen läßt.

Dieser Kunstgriff macht erst da wirklich Sinn, wo der Fotoautor seinen edel präsentierten Werken handgreiflich zu Leibe rückt – mit Pinsel und Farbe. In seinen Übermalungen erreicht Banier jene unverwechselbare Eigenart, die ihm mit der puren Fotografie selten gelingt. Kryptische Schriftzeichen überziehen und verdecken Personen und Gesichter, alberne und tiefschürfende Gedankensplitter sind in verstörender Nachbarschaft über die Fotooberfläche gestreut.

Eines der unauffälligsten Bilder, eine kleinformatige, menschenleere Winterlandschaft, bündelt die Intensität, die in diesem Verfahren steckt. Zwischen schwarzen Baumstämmen entspinnen flattrige Zeilen, die von ferne anmuten wie asiatische Tuschezeichnungen, einen melancholischen Dialog über zerronnene Liebe. Da verblaßt die Eitelkeit, mit der an den Wänden ringsum so manche Banalität zur großen Kunst hochstilisiert wird – poetische Fotoskripturen wie diese sind die Kraftzentren von Baniers Werk. Andreas Langen

Württembergischer Kunstverein, Schloßplatz Stuttgart, Di.–So. 11–18, Mi. bis 20 Uhr; noch bis 17.1. 1999