Links abbiegen verboten

■ Schluß mit dem Schmusekurs! Unter ostdeutschen Sozialdemokraten wächst die Kritik an Bündnissen mit der PDS. Ein Befürworter von rot-roten Koalitionen, Richard Dewes, wird heute zum Thüringer SPD-Spitzenkandidaten

Schluß mit dem Schmusekurs! Unter ostdeutschen Sozialdemokraten wächst die Kritik an Bündnissen mit der PDS. Ein Befürworter von rot-roten Koalitionen, Richard Dewes, wird heute zum Thüringer SPD-Spitzenkandidaten gewählt. Wie viele Genossen verweigern die Stimme?

Links abbiegen verboten

Evelyn Kenzler gab gestern im sächsischen Landtag eine Pressekonferenz. Die Evelyn Kenzler. Vor einer Woche wäre das nicht berichtenswert gewesen. Das konnte die rechtspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion aber schlagartig ändern: Am Wochenanfang forderte sie eine Amnestie für verurteilte SED-Funktionsträger. Nicht nur schwedische Gardinen sollen Mauerschützen und Grenztruppengenerälen erspart bleiben. Ginge es nach Kenzler, dürften die Eingekerkerten auch mit einer fürstlichen Haftentschädigung rechnen.

Kenzlers Vorstoß ist Wasser auf die Mühlen des PDS-kritischen Flügels der SPD. „Jetzt zeigt sich das wahre Gesicht der PDS als reine Interessenvertretung der alten DDR-Kader“, so der ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg. Richard Schröder und Markus Meckel fühlen sich bestätigt. Den Mitbegründern der Ost-SPD ist der sozialdemokratische Schmusekurs mit den Altkommunisten schon lange ein Dorn im Auge. Vor fünf Wochen hatten Schröder und Meckel zusammen mit Erhard Eppler, einst Chef der SPD Grundwertekommission, und dem Berliner Fraktionschef Klaus Böger ein Memorandum veröffentlicht.

„Wir vermissen eine Diskussion in der SPD über die Voraussetzungen und Folgen einer Zusammenarbeit mit der PDS – und zwar für die SPD im ganzen“, heißt es darin. „Wenn sich künftig die PDS in ganz Deutschland links von der SPD als sozialistische Kraft etabliert, gefährdet dies die künftige Mehrheitsfähigkeit der jetzigen Koalition.“ Das Einbinden in Regierungsverantwortung würde dies geradezu fördern.

Jetzt gaben die Autoren die Gründung eines Arbeitskreises bekannt, der ab Januar die PDS-kritischen Kräfte bündeln und endlich einen ernsthaften Richtungsdisput entfachen soll. „Die PDS-kritische Position muß in der Partei ihren legitimen Platz haben“, begründete Schröder den Schritt.

Überall im Osten formiert sich Widerstand. In Sachsen-Anhalt gründeten namhafte Sozialdemokraten – unter ihnen Innenminister Manfred Püchel – den Arbeitskreis „Neue Mitte“. Er soll ein Gegengewicht zu den Tolerierungsbefürwortern schaffen. In Brandenburg verweigerten die Sozialdemokraten Daniela Dahn ihre Stimme. Die PDS hatte die Autorin für einen der drei Plätze im Brandenburger Verfassungsgericht nominiert, die Nichtjuristen zustehen.

Aus Protest gegen den rot-roten „Verrat“ traten in Mecklenburg- Vorpommern 70 Sozialdemokraten aus. Sie wollen am 26. Januar eine Sozialliberale Partei gründen. Bemühungen von Ministerpräsident Ringstorff, mit ihnen wieder ins Gespräch zu kommen, scheiterten kläglich: Zu einer für heute geplanten Aussprache trafen so wenige Rückmeldungen ein, daß der Termin abgesagt werden mußte.

In Sachsen, wo Kenzler gestern die PDS-Fraktion bei ihrem erklärten Ziel, Biedenkopfs absolute Mehrheit mit SPD-Hilfe zu brechen, unterstützten wollte, erklärt SPD-Chef Kunckel, eine Zusammenarbeit komme überhaupt nicht in Frage: „Extremisten gehören nicht an die Macht.“

Schon heute könnten die PDS- kritischen Kräfte der SPD eine weitere Stärkung erfahren. Auf dem Thüringer SPD-Landesparteitag wird Richard Dewes zum Spitzenkandidaten gekürt. Daß der Saarländer gewählt wird, steht außer Frage – unklar ist nur, mit welchem Ergebnis. Alles unter 90 Prozent käme einer Abmahnung gleich, heißt es. Zwar betont der Spitzenkandidat, er werde nach der Wahl auch mit der CDU „ernsthaft über eine Koalition reden“. Das kaufen ihm mittlerweile aber nicht mehr sehr viele Parteifreunde ab. SPD-Landesgeschäftsführer Uwe Höhn erklärte gestern, Dewes werde auf dem Parteitag „keinen Zweifel daran lassen“, daß nach den Wahlen auch mit der PDS gesprochen werde.

Dewes lehnt den geplanten Arbeitskreis von PDS-Gegnern innerhalb der SPD ab. So etwas sei nur dazu geeignet, die Partei zu spalten. Sein parteiinterner Widersacher, Wissenschaftsminister Gerd Schuchardt, begrüßte hingegen die Initiative. „Ich finde es gut, daß nicht jeder in der SPD eine PDS-Koalition für richtig hält“, sagte er. Allerdings solle die Debatte jetzt nicht in Thüringen geführt werden. Schließlich sei Wahlkampf und da könne man sich keinen Streit leisten. In feiner Tüftelei hat der Dewes-Flügel einen Burgfrieden mit den PDS-Kritikern um Schuchardt gebastelt.

Doch nach dem Vorstoß von Kenzler ist dieser Frieden in Gefahr. „Diese derartige Unverschämtheit hat mich sehr erschreckt“, sagt Sozialministerin Irene Ellenberger (SPD). „Das kommt ja nicht von irgendeiner wildgewordenen Basis. Das kommt aus dem Bundestag. Man darf mit solchen Leuten einfach nicht zusammenarbeiten.“ Auf dem Parteitag wird möglicherweise ein Antrag eingebracht, nach dem die Basis per Mitgliederentscheid über die künftige Koalition abstimmen soll. Kommt der Antrag durch, wäre Dewes' Position deutlich geschwächt.

Ellenberger ist wie Schuchardt „grundsätzlich absolut für den Initiativantrag“. Sie hält es allerdings für klüger, ihn erst im Mai einzubringen. „So hätten alle Seiten genügend Zeit, sich damit zu befassen“, sagte die Ministerin. Daß Dewes nach der Wahl das Votum der Basis akzeptiert, hält Ellenberger „bei diesem guten Demokraten“ für unzweifelhaft. Die Frage ist nur, wie dann der neue Innenminister heißen soll.

In der Bundespartei ist man bemüht, einen Streit um die PDS gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die offizielle Sprachregelung zu regionalen Kooperationen mit den Altkommunisten stammt noch aus dem Wahlkampf: „Das ist Sache der Landesverbände“, heißt es seit Juli. Damit sind die Befürworter von Rot-Rot bisher gut gefahren. Widerstand aus Bonn ist auch in Zukunft kaum zu erwarten. Die Initiative gegen PDS/SPD-Koalitionen findet in der SPD-Bundestagsfraktion kaum Widerhall. „Dafür interessieren sich nur die ostdeutschen Abgeordneten“, berichtet Christoph Matschie aus Jena: „Und eine deutliche Mehrheit von denen ist gegen einen prinzipiellen Ausschluß jeder Zusammenarbeit mit der PDS.“

Die Parteispitze hält sich zu dem Konflikt bedeckt. Allerdings ist bekannt, daß Bundeskanzler Schröder Bündnissen mit der SED-Nachfolgerin skeptisch gegenübersteht. Und auch Verteidigungsminister Scharping hält von dem Schmusekurs nichts: „Scharping hält das, was in Mecklenburg passiert, für einen Fehler“, sagt Sten Martinson, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über seinen ehemaligen Chef.

Parteichef Oskar Lafontaine befürwortet hingegen Regierungsbeteiligungen der PDS. Die SED- Nachfolger seien auf dem Weg zu einer demokratischen Partei, erklärte er am Freitag. Man könne den PDS-Mitgliedern nicht von vornherein „die demokratische Zuverlässigkeit absprechen“. Richard Dewes, ehemaliger saarländischer Staatssekretär in der Landesregierung Lafontaines, hofft bei möglichen Experimenten in Thüringen auf die Rückendeckung des großen Vorsitzenden. Nick Reimer, Dresden

Robin Alexander, Bonn