Bonner Diät: Bund baut weit unter Tarif

■ Landesarbeitsamt ermittelt wegen Tarifunterschreitung auf der Baustelle des Justizministeriums. Arbeiter sollen seit Oktober keinen Lohn mehr erhalten haben. Bundestagsbauten werden zu brandenburgis

Schuften auf dem Bau für weniger als zehn Mark in der Stunde: das scheint auf den Berliner Bundesbaustellen Alltag zu sein. Gestern wurden erneut zwei Fälle bekannt, in denen Wachschützer und Bauarbeiter Löhne weit unter Tarif erhalten oder für ihre Arbeit überhaupt kein Geld bekommen.

Auf der Baustelle des Bundesjustizministeriums an der Kronenstraße in Mitte sollen mindestens 27 polnische Restauratoren zu einem Stundenlohn von nur 9,82 Mark netto beschäftigt sein, obwohl der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn 14,20 Mark beträgt. Das teilte der Polnische Sozialrat mit, der polnische Berufspendler in Berlin betreut. Selbst von diesen geringen Löhnen hätten die Arbeitnehmer seit Oktober „teilweise überhaupt nichts, teilweise nur Abschläge“ erhalten, sagte Sozialrats-Mitarbeiterin Martina Teichelmann. Gespräche mit der deutschen Baufirma „Alpine Bau“ und deren polnischem Subunternehmer DENEB hätten lediglich zu einer Kündigung der betroffenen Arbeiter geführt.

Der Sprecher der Bundesbaudirektion Berlin, Harry Hirsch, bestätigte, daß das Landesarbeitsamt in diesem Fall wegen des „Verdachts auf Mindestlohnunterschreitung“ ermittele. Die Behörde habe die Hauptunternehmer „ermahnt“, sich an die Bestimmungen zu halten. Welche Subunternehmen diese Firmen wiederum beschäftigten, lasse sich aber nicht kontrollieren. Die Bundesbaudirektion habe zwar „theoretisch“ Einblick in die Lohnlisten. „Praktisch“ scheitere die Kontrolle aber daran, daß die Listen am Hauptsitz der „Alpinen Bau“ in München geführt würden. Erst wenn das Arbeitsamt eine Buße verhängt habe, könne die Behörde das betroffene Unternehmen von weiteren Aufträgen ausschließen. „Das kann aber Monate oder Jahre dauern“, sagte Hirsch.

„Rechtswidriges Lohndumping“ werfen die bündnisgrüne Abgeordnete Barbara Oesterheld und ihr PDS-Kollege Freke Over auch einer Wachschutzfirma vor, die im Auftrag der Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB) die Baustellen für die Bundestagsbüros am Spreebogen bewacht. Die Firma Wach- und Sicherheitsdienst (WSD) aus dem bayerischen Cham zahle ihren Mitarbeitern lediglich 9,30 Mark brutto pro Stunde, obwohl sie eine „Tariftreueerklärung“ unterschrieben habe und der Berliner Tariflohn 11 Mark betrage. Außerdem würden keine Sonntags- und Nachtzuschläge bezahlt.

Außerdem soll die Firma nach Angaben von Oesterheld und Over zu Unrecht Fördergelder des Senats für die Einstellung und Qualifizierung von Sozialhilfeempfängern erhalten haben. An die Bedingungen, Tariflohn zu zahlen und die Beschäftigten zu qualifizieren, habe sich der WSD nicht gehalten. Statt dessen zwinge er die Arbeitnehmer, Qualifikationsnachweise zu unterschreiben, auch wenn die Weiterbildung gar nicht stattgefunden habe.

WSD-Geschäftsführer Gunnar Rachner wies die Vorwürfe zurück. Nach dem „Entsendeprinzip“ erhielten die Angestellten das Gehalt der Tarifregion, aus der sie an die Baustellen entsandt worden seien. Da die WSD-Mitarbeiter in Berlin aus den brandenburgischen Niederlassungen in Cottbus und Königs Wusterhausen kämen, gelte der Brandenburger Tarif. Der Vorwurf fehlender Qualifizierung sei „Blödsinn“.

Auch BBB-Sprecherin Claudia Lemhoefer unterstrich, die Vorwürfe seien „nicht haltbar“. Zwar wolle die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in einem Musterprozeß klären lassen, ob in diesem Fall der Berliner oder der Brandenburger Tarif gelte. Bis dahin aber gälten „beide Tarifauslegungen parallel“. Die Wachschutzfirma sei also „vom Vorwurf des Lohndumpings befreit“. Ralph Bollmann, Philipp Gessler