Spurensuche nach dem Schloßschatz

Das Staatliche Museum Schwerin dokumentiert in einer Schriftenreihe die kriegsbedingt vermißten Kunstwerke  ■ Von Andreas Hergeth

Rund ein Viertel des Vorkriegsbestandes des Mecklenburgischen Landesmuseums gilt seit den Nachkriegswirren als vermißt. Aber erst in Zahlen wird das Ausmaß verlorengegangener Kunstschätze deutlich: Insgesamt fehlen rund 10.000 Stücke. Betroffen sind 646 Gemälde und 19 Entwurfszeichnungen, 305 Skulpturen und Bildwerke, der mit 487 Stücken umfassende Gesamtbestand mecklenburgischer Gold- und Silbermünzen sowie -medaillen und rund 6.000 Stücke aus dem Bereich des Kunsthandwerks.

Vermißt sind auch 2.680 Teile der kunsthistorischen Bibliothek des Schweriner Museums sowie sieben Kisten mit Druckgraphiken, über deren Inhalt und Stückzahlen keine Unterlagen existieren. Jetzt liegt mit BandI das erste Buch einer umfangreichen Dokumentationsreihe der kriegsbedingt vermißten Kunstwerke vor. Vier Bände sind geplant, beim Umfang der bisherigen Recherchen dürften es aber fünf werden. Gefördert wurde dieses ambitionierte Unterfangen von den Kulturstiftungen der Länder und dem Bundesministerium des Innern.

Der erste Band beschäftigt sich mit den vermißten Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und plastischen Arbeiten. Alle Kunstwerke werden detailliert – soweit möglich – in Bild und in Schrift auf deutsch und russisch beschrieben. Das hat seinen Grund in der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte Schwerins. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Sammlungen des Mecklenburgischen Landesmuseums im Museum am Alten Garten und im Schloß Schwerin untergebracht. Schon zu Beginn des Krieges schaffte man vorsichtshalber die wertvollsten Keramiken, vorgeschichtliche Altertümer, Münzen etc. in die Luftschutzkeller des Schloßmuseums.

Nachdem im April 1942 die Städte Lübeck und Rostock von den Briten bombardiert wurden, begann in Schwerin die Räumung sämtlicher Ausstellungssäle des Museums am Alten Garten. Die wertvollsten Gemälde kamen in die Stahlkammern der Reichsbank und der Sparbank Schwerin. Wenig später lagerte man einige Stücke nach Schloß Karow aus. Auch Sparkassen in nahen Städten wurden genutzt. In den letzten beiden Kriegsjahren wurden so nach und nach Schweriner Kunstwerke vor den anrückenden Truppen der Alliierten in Sicherheit gebracht. Dazu nutzte man verschiedene Schlösser, aber auch das Salzbergwerk Grasleben. Dorthin wurden 81 Kisten aus den Luftschutzkellern des Schlosses gebracht. Darunter befanden sich nachweislich die wertvollsten Gemälde. Bis Kriegsende hatte man summa summarum Kunstschätze und Bücher im Wert von rund fünf Millionen Reichsmark ausgelagert – alles bestens registriert und gekennzeichnet. Doch das sollte nicht viel nutzen. Zwar stand Schwerin zunächst unter britischer Besatzung, aber Anfang Juli 1945 wurde die Stadt im Zuge der Grenzbegradigung der sowjetischen Zone zugeteilt.

Schon im Juni 1945 konnten erste Kunstwerke aus den Auslagerungsorten außerhalb Schwerins zurückgeführt werden, Möbel und Gemälde, aber auch zwei Graphikkisten trafen ein. Einige Verluste gehen auf das Konto der Briten. Nachweislich nahmen britische Soldaten bei ihrem Abzug aus Schloß Möllenbeck alle 21 Möbelstücke mit. Nicht von Erfolg gekrönt waren Versuche, weiter ausgelagerte Kunstwerke zurückzuholen, die von Anfang an in der sowjetischen Besatzungszone lagen.

Zum Teil verschenkten sowjetische Offiziere Gemälde an Menschen aus dem betreffenden Auslagerungsort. Anderes Bergungsgut, so in Schloß Hohenzieritz, wurde von der Bevölkerung geplündert, einiges wurde schnöde gestohlen – der größte Teil aber ging in die Sowjetunion. Augenzeugen berichteten von gezielten Abtransporten der Kunstwerke. Auch den im Schweriner Schloß untergebrachten Bibliotheksbestand der Gemäldegalerie mit seinen 2.680 kunstgeschichtlichen Werken verpackten die Sowjets und schickten es gen Heimat. Und als im Januar 1946, nach Verlegung eines Hilfskrankenhauses, die Sowjetische Militäradministration in das Schloß zog, wurden die dort verbliebenen musealen Bestände ohne Rücksicht auf Verluste herausgeräumt. Tagelang lag das Kunstgut im Freien.

In den Inventarlisten tauchten anschließend hinter 250 Gemälden und Handzeichnungen sowie 249 plastischen Arbeiten der Vermerk „Verloren Räumung Schloß“ auf. Allein die im April 1946 eingezogenen knapp 2.000 Stück Militaria, also Waffen, Uniformen, Ausrüstungsgegenstände, kamen 1958/59 nach Schwerin zurück.

Auch die Rückführung der ausgelagerten Bestände im Salzbergwerk Grasleben gestaltete sich schwierig. Im Niedersächsischen gelegen, wurde eine Rückführung von den Briten verhindert. Die Kisten kamen ins zentrale Kunstgutlager Celle. Erst 1961 kamen die Kunstwerke aus der BRD zurück, die DDR übergab im Gegenzug Stücke eines Aachener Museums.

Mit der Publikation der vermißten Kunstwerke ist ein wesentlicher Schritt zur möglichen Wiederbeschaffung mecklenburger Schätze getan. Staatliche Institutionen, Museen, Aktionshäuser, aber auch private Sammler im In- und Ausland – vor allem Rußland –, an die der Großteil der 800er- Auflage der Dokumentation ging, ist damit „ein Instrument in die Hand gegeben, das hilft, auf den gegenwärtigen Verbleib der Werke aufmerksam zu machen und damit eine Rückgabe an das Schweriner Museum zu ermöglichen“, so Kornelia von Berswordth-Wallrabe, Leiterin des Staatlichen Museums Schwerin. Man bleibt realistisch. Die Suche wird sich schwierig gestalten. Aber eine Hoffnung bleibt der Museumsleiterin: „Warum sollen Bilder aus Mecklenburg in Berlin hängen, obwohl sie eigentlich nach Schwerin gehören?“