Verfangen im weltweiten Finanznetz

Italienischen Mafiagruppen, bislang Profiteure weltweiter Geldtransfers, geht in Zeiten internationaler Finanzkrisen die Luft aus. Zu spüren kriegen das vor allem die „Wirtschaftsberater“ der geldschweren Kunden  ■ Aus Crotone/Reggio Werner Raith

Sein derzeitiges Problem umschreibt Salvatore, in seinen Kreisen ehrenvoll „Don Totuccio“ genannt, so: „Einige Kunden sind mit meiner Arbeit nicht mehr ganz zufrieden.“ Das freilich ist eine starke Unterteibung. Seit Mitte Mai bewegt sich Salvatore, in seinen Boomzeiten als „der Beste der Besten“ gerühmt, nur noch mit einer Eskorte von fünf Mann. Drei davon, darunter sein Chauffeur, auf seine eigenen Kosten. Zwei stellt der Staat, seit sein eben erstandener Alfa 164 aus unbekannten Gründen Feuer fing und kurz danach auch noch eines seiner Büros nach einer Explosion einstürzte. Daß dabei jene „nicht mehr ganz zufriedenen Kunden“ ihre Hand im Spiel haben könnten, meinen auch die Strafverfolgungsbehörden, zumal sich die „Unglücksfälle“ mehr und mehr auch auf Totuccios Umgebung auszudehnen beginnen.

Einer seiner Mitarbeiter fand seine Wohnung leergeräumt vor, mit einem auf seinem eigenen Computer geschriebenen Hinweis: „Di al tuo padrone di non fare altri capricci“ (Sag deinem Chef, er soll keine weiteren Faxen machen). Seine Frau entdeckte einen Zettel in ihrer Handtasche „Ultimo avvertimento“ (letzte Warnung) – und auf seinem Bankkonto fehlten per nichtgenehmigter Abbuchung plötzlich an die 50 Millionen Lire (rund 50.000 Mark). Protest einzulegen oder gar die Summe zurückzufordern hat Totuccio nicht gewagt: „Man weiß ja nicht, wer die Gelder abgezogen hat.“

Und sich mit jemandem anzulegen, von dem man nicht weiß, wer er ist, empfiehlt sich nicht. Jedenfalls nicht hier in Kalabrien, wo Salvatore vier „Beratungsbüros“ unterhält, gemeinsam mit sechs anderen Rechtsgelehrten – zwei Anwälten, einem Steuerfachmann und drei ehemaligen Beamten des Finanzamts. Sie halten Kontakt zu allerlei Off-shore-Banken auf den Bahamans oder der Isle of Man und sind mit sämtlichen Börsenplätzen der Welt vernetzt.

Vor allem die ehemaligen Finanzbeamten haben jedoch in letzter Zeit kalte Füße gekriegt und sind klammheimlich verschwunden. Salvatore vermutet sie im besten Fall als in den USA abgetaucht, wo sie Verwandte haben. Sie könnten sich aber auch der italienischen Antimafia-Polizei gestellt haben und ellenlange Berichte über gewisse Transaktionen verfassen, über die der Anlageberater nicht so gern spricht. Oder, aber darüber mag Don Totuccio noch weniger spekulieren, es ist „ihnen irgend etwas zugestoßen“.

Das Schicksal eines Rechtsanwalts schwingt irgendwie immer mit, wenn der Geldexperte spricht. Der Anwalt war Anfang des Jahres an der Pforte seiner Sommervilla im Sabaudia südlich von Rom erschossen worden. Die Polizei hatte später einen Verdächtigen festgenommen, der aus Eifersucht geschossen haben soll. Daran glaubt hier niemand. Der Ermordete hatte wenig zuvor just hier eine schwere Auseinandersetzung mit einigen seiner Klienten gehabt, und zwar wegen einer Fehlspekulation. Sagt jedenfalls Don Totuccio.

Die Herkunft der Gelder, die der Finanzkundige aus Crotone seit Jahren anlegt, ist jedenfalls nicht immer so ganz klar. „Ich bin als Steuerberater ja auch nicht verpflichtet, jeden meiner Kunden zu fragen, wo er seine Lire herhat.“ Wenn, dann seien es die Banken, die Auskunft verlangen müßten. Tun sie aber nicht, meint jedenfalls ein Teil der Strafverfolger in Sachen Organisierter Kriminalität, die mit ziemlicher Regelmäßigkeit bei Don Totuccio vorbeischauen. Sie untersuchen undurchsichtige Transfers, die meist im Rahmen anderer Ermittlungen aktenkundig geworden sind. Das Antimafia- Gesetz gebietet, daß bei jeder Transaktion von über 20 Millionen Lire der Klarname der Einzahler und der Überweisungsgrund anzugeben ist.

„Manche Bankbeamte vertun sich bei den vielen Nullen“, meint Don Totuccio sanft, wird aber gleich wieder ernst. „Nein, es geht wirklich alles mit rechten Dingen zu bei mir. Die Bankbeamten müssen ja nur meinen Namen notieren und die von mir angegebenen Einzelheiten. Und da sind wir sehr gewissenhaft.“ Das räumen auch die Ermittler ein. Für sie beginnt das Problem dort, wo sich Totuccio auf sein Anwaltsgeheimnis beruft und die Namen seiner Auftraggeber nicht preisgibt. Aber dagegen gibt es keine Handhabe. Umgerechnet an die 400 Millionen Mark hat der Finanzjongleur seit Jahresbeginn im Auftrag von „Klienten, deren Identität vom Anwaltsgeheimnis geschützt ist“, weltweit bewegt.

Die Schwierigkeiten für den Anlageberater seinerseits begannen also nicht mit polizeilichen Ermittlungen, sondern als vor einem Dreivierteljahr das internationale Finanzgefüge ins Schleudern geriet und insbesondere die ostasiatischen Finanzmärkte zusammenbrachen. „Da ist uns einiges verlorengegangen“, räumt er ein, „aber das war nicht vorauszusehen.“

Oder doch, vorauszusehen war es schon, weil viele Fachleute vor der Überhitzung der Finanzmärkte gewarnt hatten. „Aber meine Kunden wollten es doch gar nicht anders“, erinnert er sich ein wenig weinerlich. „Die bestanden darauf, daß ich weiter weltweit herumtransferiere.“

Tatsächlich, das hat die Polizei in einem internen Reoprt über Leute wie Don Totuccio festgehalten, gehe es vielen der Anleger primär nicht darum, über Geldumtausch oder kurzfristige Wertpapieranlagen einen Gewinn zu erzielen. Sie interessiere vor allem, ihre Kapitalien so schnell wie möglich von einem Land zum anderen zu transferieren und vor dort aus sofort weiter, manchmal in mehreren weltweiten Kreisläufen innerhalb weniger Tage. Warum? „Keine Ahnung“, sagt Don Totuccio harmlos, „geht mich auch nichts an. Ich verwalte Gelder, nichts weiter.“

Die Polizei kennt solche Fälle dutzendweise, und nie waren die Leute zu fassen. Daß Jongleure wie Totuccio nun unversehens allerhand Probleme haben, erfüllt die Ermittler, die seit Jahren hinter solchen „Beraterbüros“ herrecherchieren, mit unverhohlener Freude. „Die Mafia“, sagt einer von ihnen, „hat sich unversehens genau in jenem Gewebe verfangen, das sie gesponnen hat, um uns Strafverfolgern zu entkommen.“

Anwälte und Steuerberater mit dunklen Verbindungen gehörten nach Polizeierkenntnissen denn auch zu den „allerersten und eifrigsten Verfechtern der Globalisierung aller Finanzgeschäfte“. Als die Mitte-Links-Regierung Italiens 1996 den Beitritt zum Euro zur vordringlichen Aufgabe erklärte, wiesen alle sizilianischen und kalabresischen Clans ihre Verbindungsleute zum Parlament in Rom an, diese Politik zu unterstützen. Sie hatten Angst, nicht mehr mitspielen zu können, wenn die Lira außerhalb der gemeinsamen Währung bleibt und damit eine total provinzielle Währung würde, die niemand mehr kaufen wollte.

Totuccio beschreibt diesen Hang zur Globalisierung technisch: „Wenn ich heute frühmorgens 10 Milliarden Lire (10 Millionen Mark) zur Einzahlung bekomme, kann ich sie bis zum Abend an mindestens vier Finanzplätzen eingesetzt und wieder abgezogen haben.“ Da kommt kein Fahnder mehr nach und genau dies war nach Polizeierkenntnissen der Grund für die Globlisierungsfreude der „Ehrenwerten Gesellschaft“. Allerdings weist Don Totuccio weit von sich, die ihm anvertrauten Gelder aus Gründen des Recycling ständig um die Welt herumzuschicken. „Ich tue, was meine Mandanten wünschen.“

Das Ganze stellte natürlich die Männer mit den vielen Geldscheinen nur solange zufrieden, wie am Ende des Kreislaufs, etwa: Mailand–Hongkong–Tokio–New York–Frankfurt–Mailand – wieder in etwa soviel herüberkam, wie man eingezahlt hatte. Manche nahmen sogar einen gewissen Verlust in Kauf. Für eine Quittung, die die Gelder am Ende des Kreislaufs als reine Spekulationsergebnisse ausweist und damit „legalisiert“, konnte man schon eine Reduzierung von 20, 30 Prozent hinnehmen. „Bei der herkömmlichen Geldwäsche“, erklärt der Steuerfahnder die Sache ganz prosaisch, „mußte man ja auch den Verlust etwa der Hälfte vom Nennwert des schmutzigen Geldes in Kauf nehmen. Der Hehler will seinen Preis, die Personen, die die Scheine unter die Leute bringen ebenfalls, und mitunter auch so mancher Polizist fürs Wegschauen.“

Doch was nun passiert ist, scheint den Kunden Don Totuccios doch an den Nerv zu gehen. „Leider“, gibt der Berater zu, „sind mir während der Transaktionen einige Einzahlungen um bis zu 80 Prozent abgestürzt.“ Im Klartext: Die 10 Millionen Dollar, die ihm einer seiner Kunden „zum Einspeisen in den Finanzkreislauf“ (weiterer Euphemismus für Geldwäsche) übergeben hatte, waren tags danach, als sie über Singapore und Seoul zurückkamen, nur noch 2 Millionen wert. Das war den Schwarzgeldeignern nun doch allzu wenig. „Dabei hätten es meine Kunden doch in jeder Zeitung nachlesen können, wie unkalkulierbar das alles war“, jammert Don Totuccio.

In seiner Not hat er einige Wochen faktisch gar keine Transaktionen mehr unternommen, um nicht erneut starke Verluste zu erleiden. Prompt, „genau da hat sich der Markt zeitweise erholt, und natürlich haben die Kunden das nun wieder sehr wohl gelesen“ und ihn schwerer Unterlassungen geziehen, weil er nun nicht gleich wieder die Gelder eingesetzt hat. Es ist eben nicht ganz leicht, als Global Player mitzumachen, wenn einem Männer mit der Kalaschnikow im Nacken sitzen.

Ein Trost ist für Totuccio, daß es nicht nur ihm so geht. In Palermo, Catanzaro und in Reggio Calabria, in Trapani, wo Siziliens größte Dichte an Kleinbanken und Finanzgesellschaften zu verzeichnen ist, sehen sich die Finanzexperten geldschwerer Kunden unter dem gleichen Druck ihrer Klienten wie er. „Ist ja auch zu verstehen, manche unserer Auftraggeber wissen nicht mehr, wie sie ihre Angestellten zahlen sollen“, räumt er ein.

Derlei bestätigt, allerdings mit wohligem Grinsen, auch der Steuerfahnder. „Selbst den reichsten Mafiagruppen geht derzeit die Liquidität aus.“ Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Palermo mußten die „Gehälter“ der Mitläufer – Männer, die zwar einen eigenen Beruf ausüben, aber für ihre jederzeitige Einsatzbereitschaft bezahlt werden – von vordem umgerechnet 1.000 auf nunmehr 500 Mark monatlich reduziert werden; „Witwen und Hinterbliebene von Mafiosi werden zur Zeit größtenteils überhaupt nicht ausbezahlt.“

Don Totuccio mag sich dazu nicht äußern. „Ich habe doch nichts mit denen zu tun.“ Aber wenn die EU sich in nächster Zeit zur Förderung fester Umtauschkurse, weltweit, entschließen sollte, wäre er sofort dafür. Daß Deutschlands Finanzminister Oskar Lafontaine genau diesen Vorschlag gemacht hat, ist in Totuccios Kreisen mit höchstem Wohlwollen aufgenommen worden. „Zum Teufel mit der ganzen Globalisierung“, bricht es aus ihm hervor, „sollen sich damit doch die Börsenhaie abgeben. Was wir wollen, sind verläßliche Umtauschkurse, stabile Aktiennotierungen und ansonsten nichts anderes, als daß der Geldtransfer wie bisher blitzschnell klappt.“

Es wäre wohl das Paradies für seinen Klientel. Doch offenbar hat sich Don Totuccio mit seiner Kundschaft hier auf ein Spiel eingelassen, das auch für die Mafia, die sich bisher als durchsetzungskräftigste Macht der Welt gefühlt hatte, nicht mehr kontrollierbar ist.