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Abhängen im Himmel

Beim Auftritt von The Church konnte man reuelos und selbstvergessen die Welt da draußen eine gute sein lassen  ■ Von Gerrit Bartels

So was soll es auch geben: Eine Band, die es schon seit über sechzehn Jahren gibt, tritt das erste Mal in Berlin auf. Doch irgendwie paßt das zu den australischen The Church, eine Band, die zeit ihres Bestehens nie viel Tamtam um sich und ihre Musik gemacht hat. Wenn man überhaupt von einer „großen“ Church-Zeit sprechen kann, dann gab es die in den Achtzigern. Da waren sie die ruhige, introvertierte Alternative zum 82er Pop und seinen Ausläufern. The Church-Fans waren Menschen, die vor allem in Studentenstädten wie Göttingen oder Marburg genug von Soft Cell und ABC hatten und nicht einverstanden waren mit sich und der Welt, dies aber eher still und in sich gekehrt mit Platten von The Church verarbeiteten. Die standen einträchtig neben denen von The Felt, The Chameleons oder den Weather Prophets, die hatten komische, naiv-versponnene Cover, die kündeten mit Songs wie „Fly“, „Out Of This World“ oder „Travel By Thought“ von anderen, besseren Welten, die waren verschlungen, eskapistisch und umweht von einem Hauch von Esoterik.

Als „Neo-Psychedelia“ bezeichnete man die Sounds von The Church gern oder als „Romantic- Rock“; eine Musik, die viel mehr Atmosphäre als Inhalte transportierte und auch nur ein einziges Mal chartkompatibel war: „Under The Milky Way“ hieß der etwas andere, weil noch weichere und melodiösere Church-Song, mit welchem sich die Band dann auch mehr oder weniger von der Pop- Welt und auch dem Mikrokosmos der Church-Anhänger verabschiedete. Danach hieß es, The Church hätten sich aufgelöst, und so richtig schlimm fand man das auch nicht, sie standen schließlich nicht mehr als für eine kurze Phase im Leben eines Heranwachsenden.

Daß sie nun auf Tour sind, könnte man als ein Mitfahren auf den 80er-Jahre-Revival-Schienen mißverstehen. Doch eigentlich haben sich The Church nie wirklich getrennt und von ihrem typischen Sound sowieso nicht. Alle zwei Jahre gab es Platten von ihnen, und die Soloalben von den drei Kernmitgliedern Steve Kilbey, Marty- Willson Piper und Peter Koppes sind so zahlreich, daß ihre aktuelle hiesige Plattenfirma nicht mehr als eine Auswahl an Titeln angeben kann.

„Hologram Of Baal“ heißt das aktuelle Church-Album gewohnt kryptisch, ein Album, das wie all die anderen davor „eine Variation einer Vision“ ist, die „dieser Band eine Identität jenseits vergänglicher Moden und Forderungen nach Veränderung“ gibt. Sagt die Plattenfirma und liegt damit goldrichtig: The Church machen immer noch dieselben Songs, das Album hätte auch 1983 oder 1992 rauskommen können, ruhig, melodiös, ein bißchen weltfremd („Another Earth“ heißt ein Song), ein bißchen langweilig, würde man mittlerweile sagen, aber irgendwie immer noch schön. Mit Sicherheit aber klingen The Church auch heute nicht wie „U2 für Arme“, wie es hier in den Redaktionsräumen böserweise hieß (müßte eigentlich auch umgekehrt lauten: „U2 für Reiche“ oder „R.E.M. für Arme“, wenn überhaupt!)

Auf der Bühne des Knaack stehen dann auch vier gestandene Männer, die sich um Lifestyles und Moden nicht zu kümmern scheinen. Adrett sehen die vier aus, unauffällige Haarschnitte, Hemden, Cordjeans und tasmanische Arbeiterschuhe („blund-stones“ geheißen, wie Fotograf Owsnitzki begeistert feststellt), dominieren das Outfit.

The Church aber sind nicht gekommen, um gelangweilt eine kurze Stippvisite zu geben: Zwei Stunden Spielzeit haben sie sich vom Veranstalter ausbedungen, darunter würden sie es nicht machen. Ihre Songs brauchen Zeit und Raum, um sich atmosphärisch zu entwickeln, Titel wie „North, South, East and West“ oder „Long Distance Century“ sprechen da zusätzliche Bände. Steve Kilbey hat immer noch diese klare und wissende Stimme, unterkühlt wirkt er, ist er aber nicht. Koppes und der neue Schlagzeuger Tim Powles machen ihre Jobs, und nur Marty Willson Piper merkt man die Freude am Spiel wirklich an, der macht schon mal einen Ausfallsschritt, der sucht zumindest mit hin und wieder einem Lächeln und ein paar Grimassen Kontakt mit dem Publikum.

Als die Band dann auch das trotz allen Addicted-Seins des Publikums viel beklatschte „Under The Milky Way“ hinter sich gebracht hat, ist dann wirklich Church-Time. Da ist es egal, wie die Herren aussehen und was sie machen, da kann man dann wirklich selbstvergessen in die langen Psycho-Songs hinabsteigen, da ist Gitarrenzeit, da kann man die Welt da draußen eine gute sein lassen.

„Some things never change“ denkt man einmal mehr mit Green On Reds Dan Stewart, und dann hat es sich mit der Reise in die Vergangenheit auch ein für allemal.

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