Kováč' mutmaßliche Entführer wieder im Visier

■ Der neue slowakische Premierminister widerruft eine Amnestie seines Vorgängers Mečiar

Prag (taz) – Mikulas Dzurinda weiß, was ihm wichtig ist: das Interesse des Staates und das Wohlbefinden seiner Bürger. Der slowakische Premierminister, knapp drei Monate im Amt, machte in der vergangenen Woche Gebrauch von seiner Funktion als Interimspräsident des Landes und widerrief eine Amnestie. Durch die hatte sein Vorgänger, Vladimir Mečiar, im März dieses Jahres die Verdächtigen im Entführungsfall Kováč jr. vor dem Schwert der Justitia schützen wollen. „Wer eine Straftat begeht, sollte niemals damit rechnen, daß er, wenn diese ihm vom Staat erlassen wurde, auch nachfolgend vom Staat geschützt wird“, begründet Dzurinda seine Entscheidung.

Berufen kann sich der Regierungschef und Vorsitzende der Slowakischen Demokratischen Koalition (SDK) auf die UNO. Eine deren Resolutionen aus dem Jahre 1982 besagt, daß im Falle von Entführungen Amnestien nie gelten sollten. Auch Slowakei-Experte Daniel Butora stimmt Dzurinda zu: „Im Hinblick auf die spezifischen Bedingungen des Falles und unter gewissen Vorbehalten muß ich ihm recht geben“, so Butora gegenüber der taz.

Hinter den „spezifischen Bedingungen des Falles“ verbirgt sich eine bizarre Geschichte, wie sie in billigen Groschenromanen nicht schlechter hätte stehen können. Helden: ein Premierminister mit Hang zum Größenwahn (Vladimir Mečiar), ein beliebter Präsident (Michal Kováč sen.) und dessen in dunkle Geschäfte verstrickter Sohn (Michal Kováč jr.). Der Präsident ist dem Premier ein Dorn im Auge, weil er gern der alleinige Machthaber im Staate wäre.

Szenenwechsel. 31. August 1995: Vor der Polizei des österreichischen Grenzstädtchens Hainburg wird der Sohn des slowakischen Präsidenten leicht verwirrt und betrunken aufgegriffen. Kováč jr. wurde in Österreich und in Deutschland wegen Verdachts auf Betrug gesucht. Um Präsident Kováč bloßzustellen, hatte Mečiar dessen ungezogenes Söhnchen von seinem Geheimdienst entführen, ihm gewaltsam einen Liter Whisky einflößen lassen, um ihm dann in den Kofferraum eines Wagens nach Österreich verfrachten zu lassen.

Die dortige Justiz, so glaubte der Ex-Boxer Mečiar, würde den Rest schon erledigen. Nur: Die Österreicher hatten keine Lust, in die Machtspielchen eines Möchtegerndiktators verstrickt zu werden, und schickten Kováč jr. prompt zurück ins Vaterland. Doppeltes Pech für Mečiar: Hätten er und seine Kumpanen den Präsidentensohn nicht so übereilt in den Kofferraum verfrachtet, hätten sie ihren Skandal wahrscheinlich noch gekriegt. Denn der deutsche Staatsanwalt war gerade dabei, über die deutsche Botschaft in Bratislava Untersuchungen gegen Kováč jr. in die Wege zu leiten.

Was folgte, sind Szenen aus einer Bananenrepublik: Zwei Untersuchungsrichter wurden eingesetzt, den Fall aufzuklären. Der erste wurde abberufen, der zweite versteckt sich bis heute im Ausland – seine einzige Kontaktperson wurde im Mai 1996 in der Innenstadt von Bratislava von einer Autobombe in die Luft gejagt. Ein dritter Untersuchungsrichter kam danach überraschenderweise zu keinem Ergebnis. Mečiar wurde seinen Präsidenten doch noch los.

Ganz unspektakulär lief am 2. März dieses Jahres dessen Amtszeit aus. Und weil kein neuer Präsident gewählt war, gingen all dessen Befugnisse auf den Premier über. Am 3. März erließ Mečiar die Amnestie gegen die Verdächtigen im Fall Kováč jr. – eben die, die der neue Premier Dzurinda jetzt rückgängig gemacht hat.

Dzurindas unorthodoxer Schritt läßt jetzt in Bratislava die Wellen höher schlagen. Insider glauben, der Regierungschef habe das kleinere Übel gewählt, anstelle durch Nichtstun Mečiars undemokratisches Erbe zu legalisieren. „Zwei Ungerechtigkeiten schaffen noch lange keine Gerechtigkeit“, knurren die Ex-Kommunisten von der Demokratischen Linken (DL) in Richtung Dzurinda. Der kleine Slowake mit dem großen Schnurrbart sieht das anders: „Durch meine Entscheidung versuche ich der Gerechtigkeit die Türe zu öffnen und die Interessen der Bürger zu verteidigen.“ Alexandra Klausmann