Der Mann fürs Grobe rückt ab

■ Einer der berüchtigtsten Berliner Polizisten geht aufs Altenteil. Seine Karriere als Kriminaler, Staatsschützer und Terroristenjäger ist von beispiellosen Skandalen gekennzeichnet. Zuletzt war er Ermittlungsle

Eigentlich hätte Manfred Kittlaus schon im letzten Jahr in den Ruhestand gehen können. Doch der Chef der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) konnte sich nicht von seinem Beruf trennen und ließ sich ein weiteres freiwilliges Dienstjahr bewilligen. Am Dienstag wurde Kittlaus feierlich verabschiedet, und zum Jahreswechsel wird das Enfant terrible der Berliner Polizeiführung endgültig aufs Altenteil gesetzt. Den meisten in der Berliner Polizei wird ein Stein vom Herzen fallen. Freunde hatte Manfred Kittlaus zum Schluß in Polizei und Politik nur noch wenige. Vor 43 Jahren hatte seine Polizeikarriere eher unspektakulär begonnen. Weil ihm sein Beruf zu langweilig war, wechselte der damalige Stadtinspektor in der Bauabteilung des Charlottenburger Bezirksamtes 1955 zur Mordkommission der Spandauer Kriminalpolizei. Auch dort befriedigte ihn die Arbeit wohl nicht völlig, und so ging er 1970 zur Staatsschutzabteilung. Mit seinen in den siebziger Jahren entwickelten Konzepten zur Terrorismusbekämpfung erwarb er sich auch über die Berliner Grenzen hinaus einen Namen.

Beim Polizeilichen Staatsschutz, bei dem er fast 17 Jahre zubrachte, geriet er auch in seine erste Affäre. Die skandalreichen Folgen des Fememordes an dem Studenten und Verfassungsschutzmitarbeiter Ulrich Schmücker, der die „Bewegung 2. Juni“ bespitzelte, ließen auch ihn nicht außen vor. Als im Sommer 1974 die Meldung über den Mord im Grunewald einging, war Manfred Kittlaus der dritte Mann in der Hierarchie des Staatsschutzes. Da der Abteilungsleiter krank und der Referatsleiter gerade im Urlaub war, kam also ihm die Aufgabe zu, die Arbeit der Sonderkommission verantwortlich zu begleiten. Hatte schon die Ermittlungsarbeit der Kommission häufig eher zweifelhaften Charakter, so kommt Kittlaus noch eine besondere Bedeutung zu.

Rund anderthalb Jahre zuvor nämlich, am 30.November. 1972, hatte er einen Informanten namens Volker von Weingraber an das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz weitergereicht. Nun tauchte Weingraber als eine der Schlüsselfiguren im Mordfall Schmücker wieder auf. Kittlaus wußte somit von Anbeginn, daß es sich hier um einen V-Mann handelte – in die Ermittlungsakten ist dieses Wissen nicht gelangt. Im Gegenteil, es wurde alles unternommen, diesen Umstand zu verschleiern. Aber eingeweiht waren nur sehr wenige, und das Verfahren sollte sich über fast zwei Jahrzehnte schleppen.

Seiner Karriere hat der Vorgang also nicht geschadet, und 1975 übernahm Manfred Kittlaus die Leitung der Staatsschutzabteilung. Dann, im Herbst 1982, hatte Landeskriminaldirektor Hans Kaleth, der höchste Kriminalbeamte Berlins, das Pensionsalter erreicht. In solchen Fällen ist es üblich, die Stelle mit dem nächsten in der Rangfolge zu besetzen. Nicht so in diesem Fall. Im Januar 1983 beförderte der damalige Innensenator Heinrich Lummer (CDU) Kittlaus an seinem bisherigen Vorgesetzten, dem Kripochef Dieter Schenk, vorbei auf den freien Sessel Kaleths.

Ein geschickter Coup: Hatte Kittlaus' Herz bisher dem rechten Flügel der SPD gehört, so schlug es fortan auf der christdemokratischen Seite. Auch öffentlich trat er nun endgültig als Hardliner auf. Bei den Anhörungen des Bundestagsinnenausschusses zu den neuen Sicherheitsgesetzen etwa plädierte er 1986 und 1988 nahezu als einziger für eine Ausweitung von Straftatbeständen.

Die CDU konnte zufrieden sein. Der weitere Aufstieg ließ denn nicht lange auf sich warten. Nach dem Tode von Landespolizeidirektor Gerhard Kleineidam wurde Kittlaus im September 1986 zu dessen Nachfolger ernannt. Ohne die goldenen Eichenblätter auf den Schultern sah man den frischgebackenen obersten Schutzpolizisten künftig nur selten. „Ich werde die Polizeiuniform mit Stolz tragen. Ich hatte noch nie eine Uniform an. Bei der Kripo und beim Staatsschutz war nur Zivil erlaubt“, hatte er zu seiner Amtseinführung gestanden. Wenige Monate später, nach der Entlassung von Polizeipräsident Klaus Hübner, war er dann der eigentliche starke Mann in der Berliner Polizei. Und doch begann sein Stern bereits zu sinken.

Nach dem „Peter-Prinzip“ – wonach jeder solange befördert wird, bis er überfordert ist – auf den dritten Platz in der Polizeispitze gelangt, galt er unterdessen als entscheidungsschwach und war zunehmend umstritten. Aber noch setzte die CDU auf ihn und ließ ihn beispielsweise eine Sondereinheit aufbauen, deren Ruf als brutaler Schlägertrupp sich rasch auch über die Stadt hinaus verbreitete. An allen Befehlsstrukturen vorbei und auf rund 500 Mann hochgeplant, sollte die umstrittene „Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training“, kurz EbLT genannte Truppe ihm direkt unterstellt werden. Es wurde nichts daraus.

Der rot-grüne Wahlsieg im Januar 1989 durchkreuzte alle weiteren Pläne, und aus der Nummer drei wurde ein Mann, den nur noch das deutsche Beamtenrecht vor dem Absturz bewahrte. Einer Versetzung Kittlaus' aus der Polizei widersetzten sich die Alliierten: „Einen General entläßt man nicht.“ Damals hatten sie noch das Sagen in der Stadt, und so wurde eigens für Manfred Kittlaus das Amt eines Landesschutzpolizeidirektors geschaffen, der überwiegend Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hatte.

Anderthalb Jahre später erhielt Berlin wieder einen CDU-geführten Senat, und Kittlaus wähnte sich erneut im Aufwind. Vorbei an Polizeipräsident Georg Schertz diente er sich der neuen Führung im Innensenat an. Solche Intrigen kosteten ihn jedoch den letzten Rückhalt in der Polizei. Mit einer Ausnahme entzogen ihm im Sommer 1991 alle Berliner Polizeiführer öffentlich das Vertrauen. Damit mußte nun auch die CDU von ihm lassen.

Um die Krise zu beenden, strukturierte man die Polizei erneut um und schuf dabei ZERV. Deren Leitung sollte der einstmals so Mächtige übernehmen. Uniform, ade! Die große Zeit des Manfred Kittlaus war endgültig vorbei, auch eine Verwaltungsklage gegen die Versetzung in das ungeliebte Amt nutzte nichts. So schickte er sich zähneknirschend drein. Mit seinem Abschied werden dann auch bei ZERV die ersten Lichter ausgehen (siehe Kasten). So ähnlich hatte man sich das damals auch gedacht. Otto Diederichs