: „Mir ham sechs Trikots verkauft“
Leben in der Eishockey-Bezirksklasse 2: Warum der HC München 98 mit seinen 60 Mitgliedern und 150 Zuschauern glaubt, ein Kultverein zu sein – und das womöglich zu Recht ■ Von Gerald Kleffmann
München (taz) – „Welcome to the Show“ heißt es in streichholzgroßen Buchstaben auf Seite zwei der Stadionzeitung. Na ja, der Begriff Zeitung klingt ein wenig übertrieben. Fünf kopierte DIN A4- Blätter liegen lose übereinander und sind in der Mitte lediglich zu einer Art Broschüre zusammengefaltet. Immerhin, das Deckblatt ist in roter Farbe, darauf steht: SHOT-OUT. Das offizielle Klubmagazin des Eishockeyklubs HC München 98.
Das mit der Show kann man nun auf zweierlei Weise verstehen. Zunächst ist da an diesem Abend das Schlagerspiel der Bezirksklasse 2, Gruppe 2, HC München 98 gegen EV Aich, Erster gegen Zweiten. Es ist aber nicht wirklich ein Schlagerspiel – wenn man in Deutschlands niedrigster Eishockeyklasse überhaupt von so etwas sprechen kann. Der HC München 98 führt die Tabelle souverän an, die restlichen sechs Mannschaften aus Aich, Geisenhausen, München (USC), Dingolfing, Gebens und Dorfen liegen abgeschlagen zurück. Und werden es am Ende der Saison auch tun.
Der Grund ist einfach: Der HC besteht überwiegend aus Jung- und Altstars der Münchner Eishockeyszene, die ihre Ambitionen auf eine erfolgreiche Karriere beendet haben – weil sie zu alt sind oder bei anderen Klubs ausgemustert wurden. Ehemalige Profis wie Ken Berry, Max Deisenberger oder Marek Chudy gehören ebenso zum Kader wie die Talente Fillip Bialon, Moritz Geiselbrechtinger oder Ex-Junioren-Nationalspieler Sebastian Schwele. Franz Jüttner, eine Eishockey-Legende in der bayerischen Landeshauptstadt und langjähriger Publikumsliebling bei Hedos, hat sich nach seinem zerstrittenen Abgang beim ESC München vergangene Saison eine eigene Mannschaft aufgebaut.
Der Verein existiert seit März dieses Jahres. In der siebenseitigen Pressemappe heißt es, daß man „aufgrund des regen Zulaufs bereits vor Beginn der Saison zu einem Kultverein avancierte“. Das ist natürlich PR und mag für einen Klub wie den HC München 98 lächerlich klingen. Die Buchhaltung zählt 60 Mitglieder, und zu den beiden Heimspielen kamen jeweils 150 Zuschauer.
Aber vielleicht gerade deshalb, weil alles eine Nummer kleiner ist, als Spieler und Fans in ihrer Laufbahn von anderen Klubs gewohnt waren, hat der Verein durchaus das Potential, tatsächlich zum Kultobjekt zu werden. Gespielt wird im Prinzregentenstadion, ohne Dach, dafür aber mit Blick auf die umliegenden Hochhäuser. Bei schlechtem Wetter muß die Partie schon mal unterbrochen werden. Heute zum Beispiel. Es schneit dicke weiße Flocken, unaufhörlich, Mitte des zweiten Drittels ruft der Stadionsprecher den „Eismeister, bitte zum Eisaufbereiten“.
Eine Stunde Training kostet die Mannschaft 350 Mark, eine Stunde Spiel 320. Da ist es hilfreich, daß man vier Sponsoren gefunden hat. „So sind wenigstens die Eiszeiten gesichert“, sagt Geli Pertschy, nach eigenen Angaben „Mädchen für alles“ im Klub. In einem anderen Leben ist sie Verwaltungsangestellte bei Tengelmann, aber das ist egal. Das wahre Leben finde für sie hier statt, sagt sie, „im Prinzi“. Und mit leuchtenden Augen fügt sie hinzu: „Wir sind eine große Familie. Da ist keiner böse, wenn einer mal krank ist.“ Andreas Faßler, einer der vier freiwilligen Ordner, sagt: „Es gibt keinen Spieler, der meint, ach, ich bin Spieler, quatsch mich nicht an.“
So denken sie beim HC München 98. Die Stimmung, die Harmonie ist den Fans wichtig, hier gilt noch ein Wort. „Nicht so wie beim ESC“, sagt Klaus Schmidt (60) und Rentner, „da ist einiges korrupt.“ Auf den Zweitligisten ESC, einziges Profiteam in München, und insbesondere auf „den Litzinger“ sind sie sauer. Den Streit zwischen dem ESC-Präsidenten und ihrem Liebling Jüttner haben sie nicht vergessen. „Mit dem wollen wir nichts mehr zu tun haben“, ruft ein Fan mit Hedos-Schal aus dem Hintergrund, „der spekuliert doch nur auf die DEL.“ Klaus Schmidt sieht es ebenso: „Zwanzig Jahre mache ich schon den Scheiß, angefangen hat's bei Bayern, dann kam der EHC 70, Hedos und die Maddogs.“ Er redet sich in Wut. „Alle gingen pleite, weil die Präsidenten den Hals nicht voll genug kriegten. Wie dieser Jülicher und der Litzinger.“
Seine gültige Jahreskarte für den verhaßten ESC will er aber nicht verfallen lassen. „Die gebe ich nicht zurück“, sagt er und zeigt sie stolz, „den Niedergang schau' ich mir noch an.“ Das Spiel läuft wieder, es steht mittlerweile 8:2, aber das interessiert keinen so richtig. Wichtiger ist das Drumherum, das Miteinander. Es ist ein bißchen wie beim Fußball-Bundesligisten TSV 1860 München, dessen Anhänger setzen bekanntlich auch auf das Wir-Gefühl. Es verwundert nicht, daß einige HC-Fans Mützen mit dem Löwen-Emblem tragen.
Auch Paul Hirle ist Fan des TSV 1860. Als Leiter des örtlichen Fanklubs Blau-Weiß nützt er die Gelegenheit, um der Presse die neuesten Umsatzzahlen im Merchandising zu verkünden. „Mir ham heut sechs Trikots verkauft“, sagt er aufgeregt. „Insgesamt wurden bereits dreißig verkauft, Schals und Mützen sollen auch bald erhältlich sein.“ Und wie zur Absicherung murmelt er hinterher: „Sagt der Jüttner.“ Rund 50 Zuschauer verfolgen auf den sechsstufigen Holztribünen die Partie, jeder Schrei der Fans ist einzeln zu hören.
Am Ende gewinnt der HC mit 13:3. Das nächste Spiel wird 27:1 gewonnen, derzeit hat man 12:0 Punkte und 80:9 Tore. „Auch wenn wir die nächsten zwei Jahre alles gewinnen“, versichert Hirle, „wir freuen uns über jeden Sieg.“
Und was bringt die Zukunft? Theoretisch könnte der HC München 98 in die höchste deutsche Spielklasse, die DEL, aufsteigen. Aber in der Bayernliga ist Schluß, denn, so Pertschy, „ab der zweiten Bundesliga gibt es keinen Spieler, der kein Geld will“. Beim HC verdienen alle das gleiche: nichts.
Mit dieser Philosophie will Jüttner verhindern, daß sein Verein bankrott geht wie viele andere im deutschen Eishockeygeschäft zuvor. Nur was ist, wenn das Team immer höher aufsteigen, investieren und sich eines Tages doch finanziell übernehmen würde? „Dann“, sagt der treue Münchner Eishockeyfan Klaus Schmidt, „höre ich endgültig auf, Fan zu sein.“ Das klingt hart, aber vermutlich sagt er das schon seit zwanzig Jahren – als er Fan bei Bayern, EHC 70, Hedos und Maddogs war.
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