■ Pampuchs Tagebuch: Es lebe die Zuneigungsdatei!
Nachdem in der letzten Monde diplomatique zwei ausgewachsene Nobelpreisträger der Literatur ihr Verhältnis zu Internet und E-Mail dargelegt haben, fühlt sich auch der vorliegende Notebook-Schreiberling angeregt, Grundsätzliches zum Thema „Wir und die neuen Technologien“ hervorzubringen. Da ich bisher noch keine Weltliteratur geschrieben habe, muß ich auf die mir zu Gebote stehenden begrenzten Erfahrungen zurückgreifen. Auch angesichts des begrenzten Raumes wollen wir das Thema auf nur eine der vielen Fragen aus dem Komplex „Das Netz und ich“ einengen: „Kann man Liebesbriefe per E-Mail schicken? Und wenn man es tut, was folgt daraus?“ Das soll heute unser kleines, überschaubares Thema sein.
„Nachdem es bei der Internet- Sprache in erster Linie auf schnelle Übermittlung von Information ankommt, bestehen zwischen der Sprache der elektronischen Information und derjenigen von Romanciers große Unterschiede“, schreibt sehr zutreffend der große Kenzaburo Oe. Wie doppelt richtig ist seine Aussage, wenn es sich um VerfasserInnen von Liebesbriefen handelt! Seit Einführung dieser mal vergnüglichen, mal quälerischen Spielart von Volksliteratur ist es nie vordringlich um schnelle Übermittlung von Information gegangen. Liebesbriefe, so ließe sich verallgemeinernd sagen, sind, was ihren Informationswert anbelangt, relativ simpel gestrickt, nicht viel mehr enthaltend, als was sich auch mit drei Worten sagen ließe. Man könnte – angelehnt an Oes von den russischen Formalisten übernommene Theorie der ostranenje (Verfremdung) – durchaus davon sprechen, daß der Liebesbrief ein Paradebeispiel dafür sei, wie die Übermittelung einer simplen Botschaft in wonnige Überlänge gezogen wird. Nicht um Geschwindigkeit geht es, sondern um herzwärmendes Meandern. Gerade deshalb kann man's gar nicht oft verschlungen genug sagen – und lesen.
Was wird nun aus Liebesbeteuerungen, wenn sie zur elektronischen Botschaft werden? Wieweit bestimmt das Medium den Stil? Lassen sich heiße Gefühle digitalisieren? Man muß gar nicht mit Rosenduft garnierte, in Schönschrift und auf Bütten gehauchte Liebesbotschaften im Kopf haben, damit einen angesichts der Elektronisierung der Minne eine gewisse Scheu ergreift. Andererseits: Kann nicht auch ein gemailtes „Mathilde, dein auf immer und ewig...“ Freude bringen? Und was ist gegen einen schnellen Mausklick zu sagen, der umgehend mit „O ewig dein, ewig ewig, Gustav, dein nur dein...“ retourniert? Freilich sagen wir es nicht erst seit Bill Gates mit anderen Worten.
Da aber liegt's. José Saramago, der andere Nobelpreisträger, klagt, daß sich viele Menschen derart vom „modernistischen und technizistischen Gerede“ beeindrucken ließen, daß sie kapitulieren, sich anpassen und passiv werden. Gilt das auch für Liebesmail? Ersetzt technisch aufgemotzte Kommunikation die gute alte Innigkeit? Muß nicht sein, sagen wir. Wer traum partner.de anklickt, ist selber schuld. Wer aber – am besten per wohlerwogene Attachment-Datei – Liebesschwüre mailt, der kapituliert nicht, der ist nicht passiv. Und daß der Stil sich ändert, was macht's? „O ewig dein“ war schon bei Stifter überholt. Was ist schon ewig?
Im übrigen halten wir uns einfach an den schönen Grundsatz „Wer liebt, hat recht“. Das gilt in AOL-Zeiten ebenso, wie es bei Sappho oder Cyrano de Bergerac galt. Und attachment heißt keineswegs nur Anhang, es heißt auch Zuneigung. Es lebe die Zuneigungsdatei! Thomas Pampuch
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