: Kreisförmig oder linientreu
Einen Mann nach dem anderen schickt Tony Scott auf den Kampfplatz, bis der echte Herausforderer gefunden ist: „Der Staatsfeind Nr. 1“. Mit zwei Bewegungsmustern bringt Scott seinen Thriller sicher ins Ziel ■ Von Elisabeth Wagner
Konsequenter als Tony Scott in „Der Staatsfeind Nr. 1“ kann man einen Actionfilm nicht beginnen. Der jüngere Bruder von Ridley Scott schießt seine ersten Einstellungen förmlich auf die Leinwand. Aus den verschiedensten Winkeln der Stadt tickern die Bilder der Überwachungskameras in schnellen Jump Cuts wie Zeichen eines Morsealphabets über die Bildschirme der Zentrale. Alles und jeder wird verfolgt, gehetzt und an die elektronische Wand gestellt. So ist von Beginn an der Eindruck der Umzingelung komplett, das Grundtempo ist etabliert. Seine Protagonisten agieren in einer hermetisch abgeriegelten Welt. Man kann auch sagen, in einer Arena, in der sie von überall her beobachtet werden. Einen Mann nach dem anderen schickt der Film auf diesen Kampfplatz, so lange, bis der echte Herausforderer, der wirkliche Staatsfeind Nr. 1, gefunden ist.
Der erste Kandidat ist Kongreßabgeordneter Hammersly (Jason Robards). Hammersly ist einer der entschiedensten Gegner einer Gesetzesvorlage, die dem Staat das uneingeschränkte Recht zur Überwachung einräumt. Man trifft ihn am Rande eines Sees, wo er mit seinem Hund spazierengeht. Dort bekommt er Besuch von der National Security Agency, dem mächtigsten Geheimdienst des Landes. Thomas Brian Reynold (Jon Voight), eine der Führungskräfte auf mittlerer Befehlsebene, will Hammersly dazu zwingen, nicht weiter zu opponieren. Das Vorhaben mißlingt, und die Vertreter des Geheimdienstes bringen den Abgeordneten kurzerhand mit einer Giftspritze um. Das ist die Ausgangslage, das ist der Tatbestand, politischer Mord immerhin, an den der Film seinen Faden fein säuberlich anknüpft. Nach dem ersten Staatsfeind Nr. 1 kommt auch schon der nächste. Ein harmloser Naturfreak, der seine Videokamera zufälligerweise genau auf die Stelle gerichtet hat, wo die NSA-Leute Hammersly umgebracht haben. Jetzt ist der Amateur namens Zavitz (Jason Lee) im Besitz einer kompromittierenden Bilddiskette. Weil alles in diesem Film quasi per Gesetz durchsichtig ist, kann nichts unentdeckt bleiben. Der Weg führt die NSA von Zavitz direkt in die Arme des schlauen und smarten Robert Clayton Dean (Will Smith). Dean ist Anwalt und gerade dabei, seiner Frau sexy Unterwäsche zu kaufen, als der unglückliche Fotograf auf der Flucht durch den Laden stürmt. Bevor er weiterrennt und auf offener Straße zu Tode gehetzt wird, läßt er das Beweisstück unentdeckt in die Tasche des ahnungslosen Starverteidigers gleiten.
Will Smith spielt den Helden wider Willen, den gewandten, aber etwas naiven und gutgläubigen Prachtkerl, der vom Gang der Dinge überrascht wird und ihren Erklärungen ein gutes Stück hinterherlaufen muß. Als solcher wirkt er selbst in Bedrängnis immer wieder komisch. Das allerdings ist mehr als die gewohnte, witzig-coole Rollenzuschreibung. Die Figur des Anwalts Dean, in der schlaksigen Darstellungsweise Smith', funktioniert vielmehr als Teil der ausgeklügelten Bewegungsmuster des Films. Scott, der zuletzt das eher uninspirierte Psychodrama „The Fan“ mit Robert De Niro ablieferte, verfährt in „Der Staatsfeind Nr. 1“ souverän. Er entwickelt zwei verschiedene Bewegungsimpulse – einen kreisförmigen und einen linearen – und macht aus seinem Film auf diese Weise einen soliden, einen schlüssigen Thriller.
Die Kontrolle kommt selbstverständlich aus dem Zentrum. Vor ihren Schirmen sitzen die Computerfreaks der NSA und steuern die Bildregie. Die Einstellungen greifen quasi ringförmig ineinander. Und manchmal sieht man, wie zur sinnfälligen Verdeutlichung, in Zwischenschnitten einen Satelliten um die Erde kreisen. Aber nicht nur die Kamera, auch die Figuren irren im Kreis. So verliert Dean, nachdem die NSA mit ihrer Drohung „Let's get into his life“ wahr gemacht hat, die Orientierung. Sein Haus wird verwüstet, die Kreditkarten sind plötzlich gesperrt, die Zeitungen drucken denunzierende Artikel. Dean denkt in die völlig falsche Richtung, und das Rätsel ist perfekt. Um zu zeigen, wie schwierig die gestellte Aufgabe ist, jagt der Film den vermeintlichen Staatsfeind gegen die Fahrtrichtung die Stadtautobahn entlang. Erst als Dean Hilfe durch den Ex-NSA-Mannes Brill (Gene Hackman) bekommt, wechselt die Perspektive. Der alte Experte steht für die gerade Linie, für den Weg nach vorn.
Mit dem (leider etwas späten) Auftritt Hackmans ändert der Film nicht nur seine Choreographie, sondern auch seinen Ausdruck. Selbst wenn dieser Mann der Figur des bekehrten, verknitterten Geheimdienstlers, im Grunde also dem Ex-Cop, keine überwältigenden Neuheiten abgewinnt und er sie vor allem mit Routine absolviert, sein minimalistisch präzises Spiel bleibt Teil der höheren Schule des Movie Acting. Tony Scott jedenfalls kann das für seinen Film nutzen. Er bedient sich beim Traditionalisten Hackman genauso wie bei den bekannten Angstszenarien der schönen neuen Computerwelt. Insofern ist er nur konsequent, wenn sein Thriller zuletzt die Kreisform favorisiert und in der Schwebe bleibt. Wirklich ernst nimmt er nur sein filmisches Handwerk. Auch das ist Teil des Spiels: „Der Staatsfeind Nr. 1“ verweigert am Ende die Aussage und lächelt in einem überzeugenden Finale ziemlich zweideutig in die Kamera.
„Der Staatsfeind Nr. 1“, Regie: Tony Scott. Mit Will Smith, Gene Hackman, Jason Lee u.a., USA 1998, 132 Min.
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