Oskar bedrängt Privatschulen

Rot-Grün will das Steuerprivileg für privates Schulgeld abschaffen. Waldorfschulen protestieren: Plätze für ärmere Schüler wären dann nicht mehr finanzierbar  ■ Von Fritz von Klinggräff

Vier Holzbaracken und ein Baucontainer, in den Schatten eines ergrauten wilhelminischen Backsteinbaus geduckt – eine deutsche Privatschule stellt man sich eigentlich anders vor. Die Freie Waldorfschule „An der Mauer“ ist eine der fünf Steiner- Schulen im Osten Berlins, ihre soziale Anbindung aber hat sie im Westbezirk Kreuzberg, am Kottbusser Tor. Ringsum wächst der soziale Stahlbeton aus der Brache des einstigen Berliner Mauerstreifens. Am Nachmittag klettern die Kids aus dem Kiez über den Jägerzaun und baumeln an der Hängebrücke des schuleigenen Spielplatzes.

Fünf Jahre ist die Waldorfschule von Berlin-Mitte jung. Irgendwann soll aus der Barackenlandschaft auch mal ein Ganzes erwachsen. Doch vorerst zieht der kleine Mietbagger auf dem Schulhof nur einen langen Graben quer durchs Gelände, die Aussichten auf ein gemeinsames Schulgebäude schwinden. Denn das Geld für den Bau müßte vom Trägerverein kommen, sprich: aus den Taschen der Eltern. Die aber sollen jetzt erst mal fürs Gemeinwohl zahlen.

So will es Oskar Lafontaines Steuerentlastungsgesetz, das Mitte Februar in die zweite und dritte Lesung geht. Weg mit den Privilegien, ist die Devise – weg also auch mit der Umsatzsteuerbefreiung für Eltern, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken. Eine langjährige sozialdemokratische Forderung werde damit endlich Wirklichkeit, heißt es unisono aus dem Bonner Finanzministerium und vom finanzpolitischen Sprecher der SPD, Joachim Poß: Jene 30 Prozent des Schulgelds, die Privatschuleltern bis dato von den Steuern absetzen konnten, sollen ab 1999 wieder ins Staatssäckel fließen. 30 Millionen Mark Mehreinnahmen erhoffen sich Lafontaines Finanzexperten. Für die Gegenfinanzierung der künftigen Steuerentlastungen sind das eher Peanuts, aber: „Wenn wir jetzt bei jedem Posten neu nachdenken würden, dann wäre die gesamte Steuerreform gefährdet“, so der zuständige Referent in der Bonner SPD-Parteizentrale. Außerdem habe es doch gar keine Einwände gegeben.

Das soll sich jetzt ändern. Kurz bevor der Entwurf den Parlamentariern zur Entscheidung vorgelegt wird, zieht der Verband der Freien Waldorfschulen nun in die Lobby. Würden doch die Eltern der 70.000 Schüler in den 168 deutschen Waldorfschulen für rund die Hälfte der 30 Millionen Mark Steuereinnahmen aufkommen müssen. „Das Geld wird uns aus der Kasse für die Zukunft genommen“, sagt Volker Kionke, Geschäftsführer des Berliner Waldorf-Provisoriums „An der Mauer“.

Nicht daß umsatzsteuerpflichtige Eltern ihr Kind nun gleich aus der Schule nehmen würden. Aber wer bisher mit einer 30prozentigen Rückerstattung rechnen konnte, werde „in Zukunft einfach weniger Schulgeld zahlen“, prognostiziert Kionke. Die Waldorfkinder aus Berlin-Mitte werden also wohl noch länger mit doppelten Socken in ihre Schulbaracken stiefeln müssen.

Vor allem aber werde dies Einfluß auf die soziale Mischung an seiner Schule haben, befürchtet Hans-Georg Husker, Kionkes Kollege von der zwei Kilometer entfernten Waldorfschule Kreuzberg. Entgegen allen Vorurteilen handele es sich nicht um eine Eliteschule, die Eltern repräsentierten den Querschnitt der Kreuzberger Bevölkerung. Zumindest einkommenstechnisch gesehen. Von den 400 SchülerInnen an seiner Schule komme jedeR dritte aus einem einkommensschwachen Haushalt „im Bereich der Sozialhilfe“.

Diese Schüler würden aber vom Schulgeld der Besserverdienenden mitgetragen und das könne sich jetzt ändern: „Die am unteren Rand fallen dann raus, weil wir ihnen den Schulplatz nicht mehr finanzieren können.“ Diese Schüler kämen dann zurück in die Kreuzberger Regelschulen ringsum. Das könne den Staat, der den Waldorfschulen nur die Personalkosten erstattet, auf Dauer teuer zu stehen kommen.

In der SPD-Parteizentrale sieht man das anders. „Bei den kommenden geburtenschwachen Jahrgängen“, heißt es cool aus dem Umkreis des finanzpolitischen Sprechers Joachim Poß, gebe es an den Staatsschulen genügend Geld und Raum für alle.

Bernd Sauer, Vater zweier Kinder an der Kreuzberger Waldorfschule und als Architekt Mitglied des Bauausschusses seiner Schule, schimpft denn auch über „die etatistischen Holzköpfe“ in der SPD: „Die sehen gar nicht, was wir denen hier an Problemfällen abnehmen.“ Kein geringer Teil der Waldorfschüler, vermutet er, würde auf der Sonderschule landen, wenn die Steinersche Solidargemeinschaft sie nicht mittrüge: „Beispielsweise die motorisch gestörten Kinder, die zu uns kommen, weil hier nicht alles nur über den Kopf läuft.“

Unterstützung für die Anthroposophengemeinschaft kommt aus dem von Jürgen Möllemann geleiteten Bonner Bildungsausschuß. „Wir Bildungspolitiker sind überwiegend der Meinung, daß die Steuerabzugsfähigkeit erhalten werden soll“, versicherte die SPD- Abgeordnete Brigitte Wimmer Anfang Dezember dem Bund der Freien Waldorfschulen: „Ich habe Privatschulen immer als ein belebendes Element erfahren.“ Aus dem Fenster hängen aber will sich die Parlamentsnovizin mit dieser Meinung lieber noch nicht.