Kommentar
: Atomarer Crashtest

■ Kanzler Schröder testet die Halbwertszeit des Koalitionsvertrags

Daß der Machtkampf um die Atomenergie eskaliert, ist nicht überraschend. Ebensowenig ist es der frühe Zeitpunkt, der irritiert. Beides war angesichts des im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten Stufenplans zum Atomausstieg vorhersehbar. Eine der mächtigsten Wirtschaftsbranchen im Lande kämpft darum, ihre Gelddruckmaschinen weiter am Laufen zu halten. Wer konnte da etwas anderes erwarten?

Verblüffend ist allein, daß der Krieg ums Atom so schnell am Kabinettstisch eskaliert. Ein grandioser Erfolg der besserverdienenden Strombosse, die ihre wohlfeilen Sprüche vom „Primat der Politik“ inzwischen tief in die Schubladen verbannt haben. Die Fronten verwischen, kaum daß die Tinte unter der Koalitionsvereinbarung getrocknet ist.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Werner Müller streiten Seit' an Seit' mit der Stromwirtschaft – und all jenen, die ohnehin lieber Rot-Schwarz als Rot-Grün gesehen hätten – gegen den Koalitionspartner, der sich in unfreiwilliger Regierungsopposition wiederfindet.

Schröders vorgezogene Konsensrunde mit Männerfreund Müller und den Atomstromern war nicht nur eine Demütigung des zuständigen Umweltministers Jürgen Trittin. Sie war, was viel schwerer wiegt, eben auch ein Vertrauensbruch. Weiß Trittin, was am vergangenen Montag im Kanzleramt besprochen und möglicherweise vereinbart wurde? Und wenn ja, glaubt er es? Der gestern verhängte Stopp des Trittinschen Gesetzentwurfs setzt die Konfrontationslinie fort. (Dort, wo auch Trittin die Dehnbarkeit des Koalitionsvertrags austestet – Stichworte Forschungsreaktor Garching, AKW Mülheim-Kärlich –, hätte während der Ressortabstimmung genug Gelegenheit zur Nacharbeit bestanden.)

Gerhard Schröder muß wissen, daß die unbestritten beeindruckende Leidensfähigkeit der Bündnisgrünen aufhört, wo ihre Existenzberechtigung anfängt. Einen Ausstiegsfahrplan, der am Ende deckungsgleich ist mit dem „Auslaufenlassen“ bestehender Meiler, das schon zu Kohls Zeiten auf der Tagesordnung stand, werden die grünen Matadore weder ihrer Basis noch ihrer Wählerschaft als Erfolg verkaufen können.

Im übrigen gibt es einen Wählerauftrag. Und der richtet sich auch an die Sozialdemokraten. Gerd Rosenkranz

Siehe auch Bericht Seite 6