Nach Knastflucht wurden Flitterwochen gestrichen

■ Gefangene beschweren sich über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Justiz dementiert

Seit der Flucht eines Häftlings aus dem Männerknast Tegel „weht in der Anstalt ein anderer Wind“. Das teilten zwei Insassen mit. Die Sicherheitsmaßnahmen seien dahingehend verschärft worden, daß die Gefangenen mit einem Bus zu dem innerhalb des Anstaltsgeländes gelegenen Sprechzentrum gefahren würden, statt wie bisher zu Fuß gehen zu dürfen. Außerdem würden Urlaubssperren verhängt. Justizsprecherin Svenja Schröder dementiert entschieden: „Es hat keine Verschärfung gegeben.“

Am 4. Dezember hatte sich ein polnischer Häftling in einem Brot- Laster versteckt und in diesem unbemerkt die JVA Tegel verlassen (die taz berichtete). Damit war zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage ein Gefangener aus einem Berliner Knast getürmt. Es sei kein Wunder, wenn danach die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden seien, zumal die spektakuläre Flucht des Russen Sergej Serow aus der Potsdamer U-Haftanstalt erst kurz zurücklag.

Zwei Tegeler Gefangene berichten, die „Hysterie“ gehe so weit, daß im Haus II der Anstalt kaum noch Vollzugslockerungen gewährt würden. Bereits zugesagte Ausgänge und Urlaube würden von den Gruppenleitern mit der Bemerkung zurückgezogen, seit der Flucht gebe es „Druck von oben“. Allein im Haus II seien „fünf bis acht“ solcher Fälle bekannt. Einem Insasse sei dadurch die eigene Hochzeit kaputtgemacht worden. Der Mann mit einem Strafende im August 1999 hatte eigenen Angaben zufolge die Zusage für einen 36stündigen Ausgang anläßlich seiner Trauung gehabt. 36 Stunden vor der Eheschließung, die am vergangenen Freitag stattfand, sei ihm mitgeteilt worden, daß der Urlaub auf vier Stunden Ausführung begrenzt werde. „Den Anzug mußte ich auf der Toilette des Standesamtes anziehen.“

Zum Beweis dafür, daß die Sicherheitsvorkehrungen „nicht verschärft“ wurden, verweist Justizsprecherin Schröder darauf, daß die Flucht nicht durch eine Sicherheitslücke im System ermöglicht worden sei, sondern durch „individuelles Versagen eines einzelnen“: Der Fahrer hatte den Lkw nicht abgeschlossen. Fast wäre alles noch schiefgegangen, denn der Brotlaster hatte den Männerknast Plötzensee zum Ziel. Erst wenige hundert Meter vorher war der Knacki aus der Dachluke geklettert und an einer roten Ampel abgesprungen.

Ein Autofahrer versuchte den Lkw-Fahrer durch Lichthupe aufmerksam zu machen, doch als der reagierte, war alles zu spät. Der Gefangene, der wegen Raubes eine zweijährige Haftstrafe bis Februar 2001 verbüßt, ist nicht wieder geschnappt worden. Plutonia Plarre