„Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen“

■ Die Grüne Edith Müller über den „Mist“ in der EU-Kommission und das Votum des Europaparlaments

taz: Nach Ansicht von Pauline Green, Fraktionschefin der Sozialdemokraten im Europaparlament, stürzt die Nichtentlastung der EU-Kommission „die EU ins Chaos“. Wollen Sie das?

Edith Müller: Das ist ein typisches Beispiel, wie mit Dramatisierungen Politik gemacht wird. Die Entlastung ist eine Prüfung, wie die EU-Kommission mit Steuergeldern umgegangen ist. Die Nichtentlastung ist wie eine gelbe Karte – ein deutliches Signal des Parlamentes, daß die Kommission geschlampt hat. Das ist wie bei einem ganz normalen Verein: Wenn der Kassenwart Mist gemacht hat, dann kriegt er eine Verwarnung. Deshalb muß er noch nicht gehen.

Die Kommission kann also weiterarbeiten wie bisher?

Das kann sie nicht, weil sie nach der Verweigerung der Entlastung durch das Parlament viel stärker unter öffentlichen Druck kommt und gezwungen ist, mit den versprochenen Reformen in der Verwaltung ernst zu machen.

Hat die Nichtentlastung auch juristische Konsequenzen?

Nein. Der EU-Vertrag sagt nur, daß das Parlament die EU-Kommission entlasten oder nicht entlasten kann. Aber er sagt nicht, was danach passieren muß.

Warum dann das Ganze?

Es hat sich soviel an schweren Kritikpunkten angesammelt. Die Korruptionsfälle sind das eine, noch schlimmer ist das Mißmanagement. Da können wir nicht zur Tagesordnung übergehen und so tun, als wäre alles bestens.

Was soll die Nichtentlastung bewirken?

Wir erwarten, daß Kommissare, die persönlich für Unregelmäßigkeiten oder Mißmanagement verantwortlich gemacht werden können, zur Rechenschaft gezogen werden. Ich denke da an die französische Kommissarin Edith Cresson und ihren spanischen Kollegen Manuel Marin. Die Vetternwirtschaft muß aufhören.

Macht sich das Europaparlament nicht lächerlich, wenn es die Entlastung verweigert, aber anschließend kein Mißtrauensvotum stellt?

Nein. Der EU-Vertrag gibt dem Parlament ganz klar unterschiedliche Möglichkeiten, bei einem Konflikt mit der EU-Kommission zu reagieren. Das Mißtrauensvotum ist die nächste Stufe, die sich ergeben kann, aber nicht muß.

Was erwarten Sie jetzt von der EU-Kommission?

Wir brauchen klare Regelungen, wie die Kommission das Parlament zu informieren hat. Wir kämpfen seit Monaten um die Berichte der kommissionsinternen Betrugsfahnder, wir bemühen uns seit Monaten, den Bericht der Finanzkontrolle zum Bildungsprogramm Leonardo zu bekommen. Doch die Kommission rückt nur zensierte Berichte mit vielen geschwärzten Stellen heraus. Zum zweiten muß die EU-Kommission der bestehenden Betrugseinheit Uclaf mehr Unabhängigkeit geben, damit die Kontrollierten nicht länger über die Kontrolleure bestimmen. Und zum dritten brauchen wir eine andere Personalpolitik in der EU-Kommission. Es kann nicht sein, daß die Mehrheit der Beamten nach einem komplizierten Auswahlverfahren eingestellt wird und gute Arbeit macht, und ihnen dann sogenannte Fallschirmspringer von den Kommissaren vor die Nase gesetzt werden, um nationale oder persönliche Interessen der Kommissare zu vertreten. Interview: Alois Berger