„Der Weihnachtsfriede wird Ruhe bringen“

■ Grünen-Fraktionssprecher Rezzo Schlauch will von Krise nichts wissen. Das rot-grüne Gerangel um den Atomausstieg sei ein „normaler Vorgang“

Die rot-grüne Koalition hat ihren ersten richtigen Knatsch. Bundeskanzler Schröder lud am Montag die Vertreter der Atomwirtschaft zu Sondierungsgesprächen über den Ausstieg aus der Kernenergie. Den zuständigen grünen Umweltminister Trittin lud er nicht ein, dafür aber Wirtschaftminister Müller. Strittig ist vor allem Trittins Forderung, die Wiederaufarbeitung gesetzlich zu verbieten. Nun soll sich der Koalitionsausschuß am 13. Januar mit dem strittigen Thema befassen.

taz: Herr Schlauch, lange hat es ja nicht gedauert bis zur ersten Koalitionskrise?

Rezzo Schlauch: Ich bin amüsiert. Bei jeder Meinungsverschiedenheit wird immer gleich von einer Krise geredet. Welchen Begriff haben die Medien noch auf Lager, wenn sich einmal wirklich eine Krise ereignet? Was wir haben, ist ein normaler Vorgang. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist ein komplexes Thema, das für uns Grüne ungemein wichtig ist und zu dem es in der Koalition verschiedene Auffassungen gibt. Wir streiten aber nicht über die Frage, ob wir aus der Kernenergie aussteigen, sondern über das „Wie“. Und für solche Meinungsunterschiede haben wir ein Instrument, das ist der Koalitionsausschuß.

Was hat solch ein komplexes Thema im Koalitionsausschuß verloren, wenn es doch gar keine Krise gibt?

Der Punkt, an dem es jetzt zu Meinungsverschiedenheiten kommt, berührt so schwierige Fragen wie mögliche Schadenersatzansprüche. Natürlich würde ich es vorziehen, wenn sich die Akteure vor der Sitzung des Koalitionsausschusses am 13. Januar einigen könnten. Wenn nicht, dann werden wir das in dieser Runde diskutieren.

Aber Umweltminister Trittin, der Ihrer Partei angehört, hat doch versichert, daß er in der Frage des Atomausstieges eine „punktgenaue Landung“ vorlegen wird, die alle juristischen und völkerrechtlichen Fragestellungen berücksichtigt.

Ich gehe davon aus, daß das so ist. Ich gehe weiter davon aus, daß seine Eckpunkte und ein darauf fußender Entwurf alle Probleme zufriedenstellend lösen. Wenn wir über die Fragen streiten würden, wann fangen wir an mit dem Ausstieg, und wann hören wir auf, dann würde ich sagen, daß wir eine handfeste Auseinandersetzung hätten. Das ist aber nicht der Fall. Es geht um technische Details, über die gestritten wird.

Der zuständige Fachminister Jürgen Trittin war an den Sondierungsgesprächen mit den Vertretern der Atomindustrie nicht beteiligt. Statt seiner saß unerwartet der Wirtschaftsminister Werner Müller mit in der vom Kanzler geleiteten Runde. Und wenig später wird das Thema Ausstieg aus der Atomenergie an den Koalitionsausschuß überwiesen. Alles ein normaler Vorgang?

Jürgen Trittin selber spricht von einem normalen Vorgang. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich sehe darin nichts Außergewöhnliches, daß ein Kanzler mit einem seiner vertrauten Minister eine solche Geschichte vorbespricht. Natürlich kann man in jede protokollarische Abweichung etwas hineininterpretieren – nur, es führt nicht weiter. Wir müssen feststellen, daß es an einem Punkt unterschiedliche Positionen gibt. Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir über kurz oder lang zu einer tragfähigen Lösung kommen.

Woher kommt dann der Eindruck, daß Umweltminister Trittin brüskiert wurde, daß ihm eine Ohrfeige erteilt wurde?

Der Umweltminister ist politisch erfahren genug. Wenn er der Meinung wäre, brüskiert worden zu sein, dann hätte er sich gemeldet und gesagt, so geht es nicht. Wir stehen in der Sache voll hinter Trittin. Und das, was er zum Ausstieg gesagt hat, entspricht dem Koalitionsvertrag. Das heißt aber nicht, daß jemand anderer in allen Punkten genau diese Meinung teilen muß.

Wenn Sie in der Sache ganz hinter Jürgen Trittin stehen, wo sehen Sie dann noch einen Verhandlungsspielraum?

Die Eckpunkte des Umweltministers stehen im Einklang mit den Koalitionsvereinbarungen. Wir werden die Angelegenheit deshalb aus einer starken Position heraus im Koalitionsausschuß besprechen.

Wird es nicht in der Koalitionsrunde im Januar den gleichen Konflikt geben?

Natürlich wird es den Konflikt geben, wenn er nicht vorher beigelegt wird. Aber SPD und Grüne sind doch dafür bekannt, daß sie eben nicht einfach politische Sprachregelungen nachbeten. Deshalb haben solche Konflikte einen anderen Stellenwert, und deshalb kann man auch von keiner Krise reden. Es wird auch keine ausbrechen.

Ist es nicht eher so, daß der Kanzler die Novelle des Atomgesetzes an sich zieht, um zu zeigen, wer Herr im Haus ist?

Ihr Eindruck in allen Ehren, ich teile ihn nicht.

Um noch einmal auf den Kern des Streits zurückzukommen: Sie halten beim Umgang mit abgebrannten Kernbrennstoffen daran fest, daß eine Entsorgung auf die direkte Endlagerung begrenzt wird?

Natürlich halte ich an diesem Ziel, so wie es im Koalitionsvertrag steht, fest. Nur gibt es hier verschiedene Interpretationen. Für Jürgen Trittin ist damit der Wiederaufarbeitung der Boden entzogen. Die andere Seite fürchtet dagegen rechtliche Konsequenzen, die jetzt noch nicht zu überblicken sind.

Wenn der Koalitionsvertrag an diesem Punkt unterschiedlich interpretiert wird: Müssen Sie nicht weitere Interpretationen an anderen Punkten der Vereinbarung fürchten?

Das sehe ich dann, wenn es soweit ist. Es gehört doch zu jeder Koalition, daß jede Seite versucht, die Vereinbarung zu ihren Gunsten auszulegen.

Wenige Tage vor Weihnachten hat sich die Koalition ja einen besonders ungünstigen Zeitpunkt für eine, wie Sie sagen, kleine Meinungsverschiedenheit ausgesucht.

Im Gegenteil, ich finde, es ist ein hervorragender Zeitpunkt. Der Friede des Weihnachtsfestes wird möglicherweise die Differenzen zur Ruhe bringen. Und mit einem ruhigen Kopf kann man dann zu einer Einigung an diesen Punkt kommen. Interview: Bettina Gaus, Wolfgang Gast