Miles & Less – Fliegen im Jahr 2000

Die Grünen haben ihr Programm gegen grassierende Vielfliegerei im Bundestag durchgesetzt: Jedem Bundesbürger stehen nun nur noch zweitausend Flugkilometer im Jahr zu. Ein harter Schlag für die Reisekonzerne – und für Mario Pauly. Der passionierte Reisende – kein Baderevier weltweit war ihm fremd – leidet  ■ Von Rüdiger Kind

Mario Pauly macht sommers wie winters Urlaub am Baggersee. Im Sommer radelt der 43jährige Unternehmensberater mit Kind und Kegel zu einem Freizeitgelände im Norden Münchens. Im Winter fährt er mit dem Auto dorthin zum Schlittschuhlaufen. „Am Feringasee kann man im Sommer wunderbar baden. Das Wasser hat am Anfang der Saison fast Trinkwasserqualität“, meint der sympathische Schnauzbartträger, während er jetzt an diesem kalten Wintertag heißen Tee aus der Thermosflasche trinkt. „Am Ende der Sommersaison, na ja, sprechen wir nicht darüber, aber schlimmer als an der Adria ist es auch nicht.“

Der Mann muß laut sprechen, und das macht Durst. Die sechsspurige Autobahn führt in nur wenigen Metern am Seeufer entlang. Früher, da sahen die Urlaube der Paulys ganz anders aus: Kanaren, Karibik, Kattowitz – die magischen 3 Ks der Urlaubsparadiese dieser Welt kannte der begeisterte Freizeitgolfer wie seine Westentasche, kein Baderevier war ihm fremd.

In manchen Jahren machte die Familie sogar dreimal Urlaub, diverse Kurztrips übers Wochenende nach London oder zum lukrativen Weihnachtsshopping nach New York noch gar nicht mitgerechnet. „Man kann sagen, wir waren Vielflieger. Immer Linie. Charter kam bei mir nie in die Tüte“, räsonniert Pauly leicht gequält.

Früher – das war die gute alte Zeit, bevor die Grünen ihr Miles & Less-Programm im Bundestag durchbrachten, nach dem jedem Bundesbürger im Jahr nur noch zweitausend Flugkilometer zustehen. „Unser Flugkilometerkonto war schon nach vier Wochen überzogen. Dann hatten wir für den Rest des Jahres praktisch Hausarrest.“

Ein harter Schlag für den Weltenbummler. Die Verbitterung ist dem Besserverdiener jetzt überdeutlich anzumerken. „Aber“, meint er trotzig, „wir machen das Beste daraus und genießen das schöne Münchner Umland.“ Mario Pauly – ein gebrochener Mann?

Weitergehende Vorschläge der Grünen, denen zufolge ein die letzten zehn Jahre umfassendes „Flugprofil“ jedes einzelnen Bürgers angelegt werden sollte, um die Vielflieger der Vergangenheit mit einer gestaffelten Flugsperre belegen zu können, waren zwar vorerst politisch nicht durchsetzbar, lagern aber immer noch im Giftschrank des grünen Umweltministers.

Drastische Folgen haben die Flugbeschränkungen aber auch so schon gezeitigt:

Deutsche Fluggesellschaften schreiben mittlerweile tiefrote Zahlen und sind international kaum mehr wettbewerbsfähig.

Während außerdeutsche Flughäfen boomen, führte der Rückgang des Flugverkehrs in Frankfurt schon zur Freigabe der Startbahn West als Übungsgelände für Inlineskater.

Arbeitslose Stewardessen sind mittlerweile froh, wenn sie einen der raren Jobs bei McDonald's ergattern können.

Verödete All-inclusive-Hotelanlagen von der Türkei bis Domrep machen den Urlaubsländern schwer zu schaffen.

Trotz Verlängerung der Happy Hour auf 24 Stunden mußte jetzt auch Ballermann schließen.

Über derartige Horrorszenarien kann Herbert Zims nur lachen. Der Offenbacher Werkzeugmacher ist nämlich begeisterter Flugsparer. „Wir haben jetzt drei Jahre hintereinander Urlaub auf dem Bauernhof im Harz gemacht. Ich glaube, daß unser geplanter Türkeiflug in ein, zwei Jahren zuteilungsreif sein wird.“

Er reibt sich jetzt schon in diebischer Vorfreude die schwieligen Hände. „Und wenn ein paar Kilometerchen fehlen, muß ich die halt meinem Nachbarn abkaufen, der leidet unter starker Flugangst und braucht sie sowieso nicht.“ Na bitte, so geht's doch auch!

Zwar verlangen viele Nichtflieger völlig überhöhte Horrorpreise für ihre nicht verbrauchten Flugkilometer, der Schwarzmarkt brummt, und bald öffnet die erste deutsche Flugkilometerbörse in Frankfurt ihre Pforten, aber solange zahlungskräftige Flugbegeisterte bereit sind, für ihren Urlaubsspaß kräftig zu löhnen, funktioniert das System.

Mario Pauly jedenfalls will es auch noch einmal wissen: Er trägt sich schon ernsthaft mit dem Gedanken, seinen aubergine- metallicfarbenen 7er BMW zu verkaufen, um noch einmal im Leben mit der Concorde nach New York jetten zu können. „Mein Traum, das wär's!“

Vielleicht wird er gleich dort bleiben – im Land der unbegrenzten Flugmeilen...