Sind so kleine Sterne

Als „türkische Riviera“ wurde die Südküste der Türkei um Antalya ins Rennen auf dem internationalen Tourismusmarkt geschickt. Ein unkontrollierter Großtourismus hat ganze Küstenstreifen zerstört und die Region zum Billigreiseziel heruntergewirtschaftet. Ein Studienprojekt der Thomas Morus Akademie in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Türkeistudien und Öger-Tours hinterfragt Imageprobleme vor Ort.  ■ Ein Bericht von Edith Kresta

In der hohen Empfangshalle des Kemer Vista Hotels begrüßen den ankommenden Urlauber heimatliche Klänge. Deutsche Volksmusik rieselt aus dem Lautsprecher. Man spricht deutsch. Ansonsten ist das Viereinhalb-Sterne-Hotel Kemer Vista an der türkischen Mittelmeerküste vor allem eines – protzig und ohne erkennbaren Stil gebaut. Ein eindruckschindendes Objekt touristischen Größenwahns, eingerichtet für ein Massenpublikum nach dem unausgereiften Geschmack ambitionierter Architekten.

Der türkische Veranstalter und Hotelinhaber Öger-Tours weiß, was er seiner deutschen Klientel schuldig ist. Die fühlt sich möglicherweise noch in Südtirol daheim. In der Türkei muß man es ihr schon heimisch machen. Und Öger hat sich wie kein anderer auf die Bedürfnisse seiner deutschen Kunden eingestellt.

Um das Thema Tourismus nicht als Trockenübung in tristen Tagungsräumen, sondern mitten im prallen Leben zu studieren, veranstaltet die Thomas Morus Akademie (Bensberg) Studienprojekte vor Ort. Beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Türkeistudien und Öger-Tours: „Kemer, Antalya, Belek – die Entwicklung des Tourismus an der türkischen Südküste“. Im Kemer Vista Hotel können die Tagungsteilnehmer das Angebot zwischen Bar und türkischem Bad prüfen und die Entwicklung der Südküste im Reisebus „erfahren“.

Mitte der achtziger Jahre machte sich an der türkischen Mittelmeerküste Goldgräberstimmung breit. 1984 gab es die ersten deutschen Charterflüge. Heute sind es allein aus Deutschland 14.300 Charterflüge pro Jahr, vierzehn Abflüge von deutschen Flughäfen pro Tag. In den achtziger Jahren gründeten sich in Deutschland zahlreiche türkische Reisebüros.

Die meisten dieser teestubenähnlichen Büros haben die Golfkrise und den Konkurrenzdruck im Tourismusgeschäft nicht überstanden. Dafür reist heute jeder dritte deutsche Pauschalurlauber mit dem Veranstalter Vural Öger in die Türkei. Bei zirka 2,5 Millionen deutschen Pauschaltouristen jährlich ist das ein beachtlicher Umsatz. „Wir sind aus der Krise gewachsen“, meint Hüseyin Baraner von der Öger-Holding in Istanbul.

Der Veranstalter mit Sitz in Hamburg hat einen kometenhaften Aufstieg in der Reisebranche zurückgelegt. Sein deutsch- türkisches Familienunternehmen – der Bruder baut praktischerweise Hotels in der Türkei – investiert inzwischen auch in Tunesien, der Dominikanischen Republik oder auf Kuba. Überall dort, wo deutsche Urlauber in großen Vier- oder Fünf-Sterne-Anlagen urlauben, am liebsten alles inklusive.

Öger ist ein Gewinner des Tourismusausbaus der Türkei. Die Expansion seines Unternehmens war für ihn ein Heimspiel. Ögers Kunden sind zu 74 Prozent Familien, die Preise abwägen. Sie sind nicht sonderlich beliebt. Gern gesehen sind die Gäste des an der türkischen Südküste vertretenen Robinsonclubs der TUI. Auch Öger, so Hüseyin Baraner von der Öger- Holding, wünscht sich diese „besseren Kunden: zahlungskräftig und gebildet, das obere Marktsegment“.

Früher, bedauert Baraner, „kamen wunderbare Menschen mit freundlichen Gesichtern“. Doch wo golfspielende Ärzte nebst lächelnder Gattin dünngesät sind, gibt man sich auch mit dem Facharbeiter aus Bochum samt Frau und zwei Kindern zufrieden. Der bringt keinen großen Umsatz, aber „Stückzahl“. Hüseyin Baraner weiß: „Je ungebildeter der Gast, um so mehr Leistung verlangt er.“

Nicht zuletzt deshalb schmücken sich die touristischen Anlagen mit hausgemachten Sternen. Dabei hat die Kategorie „Fünf Sterne“ in den schnell hochgezogenen Bauten nichts mit überschwenglichem Luxus oder hochentwickeltem Anspruchsdenken zu tun. Fünf Sterne bedeuten hier standardisierte Durchschnittsbequemlichkeit: Fön, Telefon und RTL auf dem Zimmer. Fünf Sterne in der Ferienanlage sind sehr kleine Sterne. Doch sie adeln jedes Ramschprodukt.

Ab und zu geht es hinaus ins feindliche Leben. Auch bei Tagungen der Thomas Morus Akademie. Häusergerippe, Restaurants, Tankstellen, unbewohnte Feriensiedlungen stehen wild verstreut in der Landschaft. An der Küstenstraße zwischen Kemer und Side ist von Landschaftsplanung keine Spur. Der unkontrollierte Bauboom an der Küste hat die Landschaft zerstört. Dabei tun sich zwanzig Autominuten von der Küste entfernt die wildromantischsten Gegenden auf.

Die Erschließung der türkischen Südküste ist geradezu klassisch für die Entwicklung eines rasch hochgezogenen Großtourismus in hochverschuldeten Ländern. Beton, wohin das Auge reicht, an den attraktivsten Küstenstreifen. Zwar hatte man von politischer Seite in der Türkei zunächst vollmundig angekündigt, Fehler wie an der spanischen Küste zu vermeiden, dann aber alle Register industrieller touristischer Erschließung gezogen.

„Das Land war billig, es gab Kredite, warum nicht gleich groß bauen“, beschreibt Tuncay Neyisci vom Institut für Umweltforschung in Antalya die Stimmung. So waren in Kemer 15.000 Betten staatlich vorgesehen, inzwischen sind es bereits 30.000.

Eines der wichtigsten staatlichen Instrumente der Tourismusförderung ist bis heute das 1982 verabschiedete Tourismusförderungsgesetz. Es entspricht den Auflagen des Internationalen Währungsfonds zur Liberalisierung der Wirtschaft. Danach legt der Ministerrat die Regionen der Tourismusentwicklung fest. Die Region Antalya wurde auf diese Weise auserkoren und als „türkische Riviera“ in den Konkurrenzkampf des internationalen Tourismus eingeführt.

Am Verfassungsgrundsatz der Unverkäuflichkeit von Staatsland, zu dem die Küstenregionen gehören, wurde weiterhin festgehalten. Allerdings wurden die Küstengebiete an Unternehmen zu einem minimalen Jahreszins von 0,5 Prozent der Gesamtinvestitionssumme für 49 Jahre in Pacht gegeben. Weitere 49 Jahre wurden in Aussicht gestellt. Neue touristische Anlagen müssen eine Kapazität von wenigstens 70 Betten aufweisen.

Großinvestoren bezahlen keinen Zoll auf importierte Güter, profitieren von Steuererleichterungen, der Vergabe günstiger Kredite und Subventionen. Der türkische Staat verpflichtet sich, die Finanzierung der Vorleistungen im Infrastrukturbereich, den Ausbau der Verkehrswege, der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und der Abfallentsorgung zu übernehmen.

Sonnige Zeiten für Großinvestoren und eine kleine einheimische Bourgeoisie, für Bauspekulationen und Abschreibungsobjekte. Bis zum Jahr 2005 sollen die Touristenzahlen von 9,5 Millionen jährlich auf 25 Millionen gesteigert werden. Der Staatssekretär im Tourismusministerium, Fermani Uygun, jedenfalls schwelgt in Wachstumsträumen.

Die Struktur für die Entwicklung zum Großtourismus war politisch vorgegeben. Korruption und Vetternwirtschaft taten das übrige. „Die Versuchung war groß“, meint der Unternehmensberater Hülsli Bayam aus Frankfurt. Im Tourismus war schnelles Geld zu verdienen. „Es wurde eindimensional gedacht“, so Yussuf Örnek, Reiseleiter aus Antalya, „mehr Betten, mehr Urlauber, mehr Devisen.“

Die hektische touristische Aufrüstung hat die „türkische Riveria“ zum Billigreiseziel heruntergewirtschaftet. Die zersiedelte, verbaute Landschaft an der türkischen Südküste hat wenig Markenwert. Sie wird verramscht und ist völlig austauschbar mit anderen Regionen rund ums Mittelmeer. Hüseyin Baraner von der Öger-Holding schiebt das Imageproblem der türkischen Südküste und stagnierende Touristenzahlen der Politik zu: Presseberichte über das Risikoland Türkei mit seinem Kurdenproblem, Menschenrechtsverletzungen und fehlende politische Stabilität würden Touristen abschrecken.

Der Frankfurter Unternehmensberater Bayam setzt noch eins drauf: „Wir haben die Regierung ungebildeten Leuten überlassen. Es kann sich nichts entwickeln, wenn innerhalb von drei Jahren fünf Tourismusminister eingesetzt werden.“ Die deutsch-türkischen Unternehmer sind kritische Beobachter türkischer Politik. Daß die Großinvestoren mit ihren landschaftsfressenden Projekten selber Imagekiller sind, akzeptieren sie nicht.

Beispielsweise Side. Eigentlich hat der wunderschön am Meer gelegene Ort mit römischem Amphitheater und den römischen Säulen mit fotogenem Blick aufs Meer nur vier Läden: einen Juwelier, ein T-Shirt-Geschäft, einen Lederladen und einen Teppichhändler. Aber von jedem dieser Geschäft gibt es unzählige Kopien. Das normale Leben hat sich aus Side verabschiedet. Türken, so scheint es, sind alle Verkäufer von schlechtsitzenden Lederhosen und Goldklunkern. Side ist eine touristische Wüste. Dabei war es einst beliebter Sommerort der städtischen Elite der Türkei. Heute gehört es dem organisierten Tourismus. Hier spricht, ißt und zahlt man deutsch. Ein Kulissendorf – und sternengeeichtes Homeland der Deutschen.

Morgengrauen am Flughafen von Antalya. Dutzende enge Chartermaschinen starten, um deutsche Städte anzufliegen und noch am gleichen Tag mit neuen Urlaubern zurückzukehren. Lange Schlangen unausgeschlafener, grimmiger Mitreisender säumen den Weg der Fluggäste. Hier triumphiert die anspruchslose Urlauberverschickung.

Edith Kresta, 44, ist Reiseredakteurin der taz