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Wenn Kannibalen schenken

Wenn andere traulich feiern, herrscht unter Fernsehsendern der Krieg um Marktanteile genau wie im ganzen Jahr. Zum Fest versenden sie ihre Filmschätze, obwohl sie dabei wohl kaum Geld verdienen können  ■ Von Birgit Glombitza

Heiligabend nach der Bescherung. Auf den Plätzchentellern liegen nur noch olle Marzipankartoffeln. Und die Übriggebliebenen, also Unverheirateten (eben meine Schwester und ich), hocken auf der Clubgarnitur meiner Mutter und vergleichen die neuen Schlafanzüge. Wie jedes Jahr wird uns unsere Mutter mit Zumutungen in Pink und Türkis beglücken, damit wir etwas Ordentliches haben, wenn wir mal ins Krankenhaus kommen. Der Ranzen spannt. Man verdaut auf den zentralperspektivisch um die Glotze arrangierten Sitzmöbeln, erprobt die familiäre Friedlichkeit, bis Weißherbst und Kekse den Familienteil bettschwer gemacht haben, der einem bei der Fernsehplanung doch sehr im Wege stehen könnte.

Auch das Fernsehen scheint es gut mit uns zu meinen. Allzugut sogar, wenigstens bei den Öffentlich- Rechtlichen. Weihnachtskonzerte, bayrisches Weihnachtsevangelium. „Der liebe Gott von Basel“ und Geraldine Chaplin als „Mutter Teresa“ auf 3 sat. Kein Zweifel, hier spekuliert die Programmplanung auf eine Seligsprechung und nicht auf Marktanteile. Altbekanntes in Neuverfilmung wie den Alle-Jahre-wieder-Schlafanzug „Der kleine Lord“ und am ersten Feiertag „Moby Dick“, und „Die Bibel“ hält zum Beispiel die ARD bereit. „Etwas für alle Menschen, die sich noch auf die Feiertage freuen“, sagt selig Silvia Maric von der Programmdirektion.

Doch hinter den Kulissen der privaten Sender ist das Leben nicht schöner als sonst, sondern stärker denn je ein Kampf um die Pfründen und die Hackordnung auf dem Markt. Statt Flötenspiel und Strohblumenstreuen zum Jahresausgang herrscht Weihnachten hier wie im ganzen Jahr der Programmkrieg. Obendrein einer, der sich nur für die wenigsten wirklich lohnt. Auf allen Kanälen wird ein Spielfilm nach und neben dem anderen aus dem Sack gelassen, als würde das Fernsehen das nächste Jahr nicht mehr erleben. „Dirty Dancing“, „Die üblichen Verdächtigen“, „Erbarmungslos“, „Ein Schweinchen namens Babe“, „Nuts“, „Das Kartell“, „True Lies“, „Zeit der Unschuld“, „Nur 48 Stunden“.

Mit einträglichen Sondertarifen für die Werbeblöcke ist die Weihnachtszeit jedoch nicht gesegnet. „30 Sekunden in der Prime time kosten die üblichen 66.000 brutto. Bei Top-Spielfilmen können es auch um die 120.000 werden“, rechnet Andreas Kühner von der RTL-Werbetochter IP vor. Mit der Großzügigkeit eines routinierten Christkinds erklärt Markus Schöneberger, der für Film- und Medienwirtschaft zuständige RTL-Manager, das Festprogramm als „Visitenkarte für RTL“ und als Highlightsspende für den artigen Zuschauer, den „man in dieser wettbewerbsintensiven Zeit stärker an den Sender binden“ könne.

Auch der ein oder andere verlorene Sohn soll so zurückgewonnen werden. Schließlich braucht die RTL-Gemeinde noch ein paar Marktanteile, um „das Kopf-an- Kopf-Rennen mit der ARD um die Jahresernte vielleicht noch für uns entscheiden zu können“. Denn das Erste hat mit Fußball-WM und Wahlkampf schon beträchtliche Schäfchen für die Marktführerschaft ins trockene gebracht.

Vox hat sich in diesem Jahr „etwas ganz Neues“ für den TV-Gabentisch ausgedacht und seine Eigenformate ausgedehnt. Den halben Tag kann man im hausgemachten Reisemagazin „Voxtours“ nun schneeweiße Karibikstrände bestaunen. „Gegen die deutsche Kälte für die Daheimgebliebenen“, schreibt Programmplanungschef Eric Carsten nicht ohne Erfinderstolz. Auch das „Auto-Motor-Sport“-Magazin wird in der besinnlichen Zeit hochfrisiert. Bei den Spielfilmen denke man diesmal „mehr an die Cineasten als an die Blockbuster-Konsumenten“, umschreibt Carsten hübsch die eigene Gewißheit über eine in der Prime time am ersten Weihnachtstag jetzt schon an die Konkurrenz verlorene Schlacht. Denn gegen die Weihnachtstorte für die Massen, „Ein Schweinchen namens Babe“ (RTL), kommt Martin Scorseses „Zeit der Unschuld“ (Vox) als liegengebliebene Marzipankartoffel für das unselige Spartenpublikum daher.

Pragmatiker Andreas Kühner zieht dieses Jahr erst gar nicht die Spendierhosen an. Das ganz große Geschäft des Jahres sei Weihnachten „nicht zu machen“. Die Gestaltung der weihnachtlichen TV-Programme unterliege schlicht dem „Kannibalisierungseffekt unter den Sendern“. Während wir also prall und friedliebend vor dem Flimmerkasten hocken, zwischen den Überangeboten hin und her zappen, feiern die Privaten ihre unzivilisierte Enthemmung.

Im vergangenen Jahr hatte RTL den Senderkrieg noch quasi direkt im Programm abgebildet: Das mit harten Thrillern und Actionreißern vollgestopfte Festtagsprogramm war mit einem großen Werbefeldzug im ganzen Land ausgerufen worden, mit programmatischen Parolen: „Weihnachten wird ausgeteilt“. Auf anderen Plakaten stand „Karrierekrieg zum Fest der Liebe“ oder „Festschmaus für Killerviren“. Selbstgewiß rieb man sich in dem Hauptslogan die Hände: „Das wird ein Fest“.

Doch nicht alle lassen das Fest der Liebe zur marktwirtschaftlichen Wadenbeißerei verkommen. Pro 7 zum Beispiel hat andere Sorgen. Oben in der Programmdirekton legt man die Stirn in Gottvaterfalten und grübelt, wie man den verwahrlosten, finanziell und sozial geschwächten Menschenkindern zu himmlischem Frieden verhelfen könnte: „Eigentlich schauen doch nur die Menschen am Heiligabend Fernsehen, die kein richtiges Weihnachten mehr feiern“, klingelt Arndt Mayer aus der Spielfilmredaktion die Besinnungsglöckchen. Für die Verlausten und Verzeckten, die Verwirrten und Verlassenen, die Schnapsdrosseln und die Jahresenddepremierten schnürt der Sender ein Paket mit „eskapistischen Filmen wie ,Der Schatz im Silbersee‘ oder leichte TV-Komödien“. Ein Wunschprogramm, aus dem sich der zerknirschte Zuschauer den Fluchtweg aus der Weihnachtstristesse selbst zusammenbasteln kann. „Weihnachten ist alles, vom Supermarkt bis zum Theater, geschlossen. Es ist die Zeit der höchsten Selbstmordrate“, weiß Mayer. Wenn sich die Familien schon von alleine die Köpfe einschlagen, will man das bei Pro 7 nicht mit aufregenden Filmen „zusätzlich anheizen“. Das Haudrauf-Sortiment rutscht deswegen fürsorglich in die Nachtschiene. Eine Zuschauerpädagogik, „mit der wir bereits im Vorjahr, wenn man auf all die Zuschriften sieht, richtig lagen“.

Doch wer sich trotz des wattigen Programms aus dem Fenster stürzt, das gibt Mayer freimütig zu, der „schreibt uns ja nicht mehr“. Wenn das Leben mal nicht schön ist, liegt es also auf jeden Fall nicht an Pro 7, dem Sender mit einem Herzen, größer als ein Einkaufszentrum für Spielfilme.

Auch in unserem ist noch Platz, sich der letzten Marzipankartoffel zu erbarmen und das Protokoll für den weiteren Abend auszuhandeln: Pink räumt das Geschirr in die Spülmaschine. Türkis holt Bier aus dem Keller. Und wer zuerst fertig ist, kriegt die Fernbedienung. Damit es keine Tränen gibt.

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