Ärzte nehmen sich frei vom Helfen und Heilen

Die Ärzte machen gegen Gesundheitsministerin Fischer mobil. Mit einem bundesweiten Streik und starken Worten  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz/dpa) – Von Prügelknaben und Buhmännern war die Rede, auf Pappen wurden markige Sprüche hochgehalten: „Erst stirbt die Praxis, dann der Patient“. Verklärte Anschauungen vom Heilen und Helfen waren gestern nicht gefragt; die niedergelassenen Ärzte hatten Protest und Streik im Sinn. Zwischen Flensburg und Passau seien mehr als die Hälfte der Praxen geschlossen gewesen, teilte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit. In Bayern, Thüringen und Brandenburg sollen sogar zwei Drittel der Praxen dichtgemacht haben. Zur zentralen Veranstaltung nach Bad Godesberg waren 4.000 Ärzte und Helferinnen gereist. In München kamen rund 5.000 zusammen.

Ihre Wut über die neue Regierung faßten die Ärzte in einer Resolution zusammen. „Wir Kassenärzte sind es leid, länger Sparkommissare einer verfehlten Gesundheitspolitik zu sein“, heißt es in dem Papier. Die Bundesärztekammer formulierte es noch schärfer: Wenn die Bundesregierung weiterhin so mit den 115.000 Kassenärzten umspringe, werde „die Ärzteschaft geschlossen Front“ gegen die Bonner Politik machen. In Bad Godesberg rief KBV-Präsident Schorre: „Wer Budgetierungen vorgibt, muß sich mit Rationierungen auseinandersetzen.“ Seine Kollegen dankten ihm mit tosendem Applaus. Die Kurzstreikenden drohten damit, im kommenden Jahr die Patienten nicht mehr optimal versorgen zu können. Grund seien die Ausgabenbeschränkungen bei Arznei- und Heilmitteln und den Honoraren.

Aber die Ärzteschaft steht nicht geschlossen hinter ihren Spitzenfunktionären. Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, hielt den Verbandsfürsten vor, sie betrieben „eine politische Propagandaaktion“, ihr Protest sei „reine Panikmache“. Huber spricht den Kassenärztlichen Vereinigungen ihre Legitimation ab. In den vergangenen Jahren hätten sie es nicht fertiggebracht, die Honorarsummen gerechter als bislang zu verteilen. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer verteidigte sich gestern abermals mit den Worten, es sei nicht zuwenig Geld im Honorartopf der Ärzte, vielmehr würden sie das Geld schlecht verteilen. Rückhalt findet die Politikerin bei den gesetzlichen Krankenkassen und Patientenbünden. Norbert Stiegler vom Allgemeinen Patientenverband sagt, den Ärzten gehe es „nur darum, abzuzocken“.

Das Vorschaltgesetz, das gestern auch den Bundesrat passierte, ist nur für 1999 gültig. Es soll die Gewähr bieten, daß die Ausgaben im Gesundheitsbereich nicht weiter steigen; 1996 wurden 514 Milliarden Mark ausgegeben. Die Bundesregierung plant eine große Strukturreform für das Jahr 2000. Als wesentliche Punkte gelten die Stärkung der Hausärzte und die Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung.