Märchen ohne Provokation

Schnell, problemlos und cool: „Shoppen Ficken“ auf Kampnagel  ■ Von Barbora Paluskova

Selbst für die schlimmste Begräbnisschnulze aller Zeiten gibt es witzige Verwendungsmöglichkeiten. Eine der besten ist derzeit bei Shoppen & Ficken auf Kampnagel zu hören. Wenn die Diana-Gedenkhymne „Candle In The Wind“ von Elton John eingespielt wird, ist in dem Stück so gut wie alles gelaufen, das meiste davon schief.

Mark, Lulu und Robbie, drei nicht sehr hoffnungsvolle junge Menschen mit Drogenproblemen, können einen reichlich anstrengenden Lebensabschnitt ad acta legen, der Strichjunge Garry darf das Leben insgesamt abschreiben, und der Dealer Brian setzt zum Schlußplädoyer an. Dessen Kernworte lauten: „Das Geld zuerst“, und weil Lulu und Robbie dieses Dogma begriffen haben, bekommen sie vom Rauschgifthändler einen ganzen Haufen Geld geschenkt.

So etwas passiert bekanntlich natürlich nur im Märchen, und mit einem solchen hat das Stück des britischen Autors Mark Ravenhill ohne Zweifel große Ähnlichkeit. In zwei parallelen Erzählsträngen wird eine Liebesgeschichte mit einer Kleinkriminellensage verknüpft. Während Mark und Garry krampfhaft versuchen, ihre sexuelle Beziehung nicht mit Emotionen zu belasten, steigen Robbie und Lulu von erfolglosen Hilfsdealern zu Telefonsexdienstleistern auf – ein Viererpack großer Kinder, die auszogen, um die Welt fürchten zu lehren, und ein böser grauer Mann, der ihnen dabei hilft.

Für Probleme hat die Inszenierung von Torsten Beyer und Christian Wiehle auch gar keine Zeit. Ihre Version von Shoppen & Ficken ist 75 Minuten schnelle und effektvolle Unterhaltung, in der ein Beutel Ecstasy-Pillen auch mal vom Himmel fallen kann und ein Junkie bloß einen Vorsatz fassen muß, um den Entzug zu schaffen. Zu schnell für Langeweile, aber auch zu beliebig, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Von einer möglichen Provokation ganz zu schweigen – ab und zu werden die Geschlechtsmerkmale gezeigt und das „Ficken“ in theaterkompatibler Form angedeutet, aber das ist schon das Böseste.

Die Darsteller schreien viel, regen sich oft auf und zeigen einen beträchtlichen Körpereinsatz. Doch wirklich beeindruckend ist nur Jens Kraßnig als Garry, der in das Stück unverzichtbare Bestandteile aller Märchen einbringt – Poesie und Faszination.

Der Rest ist nicht mehr und nicht weniger als cool: wohldosierte Beats in der richtigen Lautstärke (Musik: Christian Mevs), prima Lichteffekte und eine nette Bar, die vor und nach der Vorstellung dem Publikum als Club offensteht (Beyer und Wiehle zeichnen auch für das Bühnenbild verantwortlich). Die Bar warf allerdings bei der Premiere am Sonnabend das einzige wirklich ernstzunehmende Problem auf – das der richtigen Biertemperatur.

Noch 22. bis 27. und 29. bis 31.12., 20 Uhr, Heiligabend um 22.30 Uhr, Kampnagel, k 1