Depression bleibt allgegenwärtig

■ Dem Berliner Senat fehlen zukunftsträchtige "Leitprojekte" für die notleidende Wirtschaft

Auch acht Jahre nach der Wiedervereinigung ist der Zustand der hauptstädtischen Wirtschaft schlecht. Berlin durchlebt einen Strukturbruch, wie ihn auch das Ruhrgebiet ereilte. Dort allerdings vollzog sich der Wandel langsam und finanziell gut abgefedert innerhalb von 30 Jahren. Im Osten hat der Orkan innerhalb von sechs Jahren alles durcheinandergewirbelt. Zwischen 1992 und 1997 blieb das Wirtschaftswachstum an Havel und Spree meist weit hinter dem Bundestrend zurück. Auch 1998 liegt es nur wenig über Null. Noch enttäuschender entwickelt sich seit der Wende die Kurve der Beschäftigtenstatistik. Jedes Jahr gehen Zehntausende Jobs verloren – ersatzlos. Im Vergleich zu 1989 arbeiten heute fast 400.000 Menschen weniger in den Unternehmen der Stadt, die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 15,3 Prozent.

Die Depression hat Ursachen, die die Wirtschaftsexperten der Berlin-Studie klar benennen. Zum einen ist die traditionell beherrschende Elektro- und Maschinenbauindustrie weitgehend zusammengebrochen. Die Kombinate Ostberlins wurden durch die Treuhand oder die Nachwende-Investoren liquidiert. Und die wenigen überlebenden Betriebe gehören, gemessen an ihrer Größe, nur noch zum Mittelstand. Auch in den Westberliner Fabriken war nach 1989 der Konkurs das vorherrschende Phänomen: Die Betriebe überlebten den Wegfall der Berlinförderung nicht und boten zu wenige verkaufsträchtige Produkte.

Immerhin boomt die Baubranche. Trotzdem sagt Burkhard Wenkel, Funktionär der Baulobby: „Unsere Betriebe verdienen kein Geld.“ Die Preise purzeln, weil die Riesenbaustelle als Magnet für Unternehmen aus ganz Europa mit teilweise sehr billigen Arbeitskräften wirkt. So steigt auch in Boomzeiten die Arbeitslosigkeit unter den Berliner Bauarbeitern.

Die Erwerbslosigkeit nimmt außerdem zu, weil die Landesregierung die Beschäftigung in Ämtern und öffentlichen Konzernen massiv reduziert, um den Staatsetat halbwegs in Ordnung bringen.

Aber nicht nur äußere Rahmenbedingungen wirken dämpfend. Die Berlin-Studie stellt fest, daß in der ehemaligen Insel-Ökonomie die Qualifikationen der Beschäftigten sehr zu wünschen übriglassen. Gute Ausbildungen kommen seltener vor, als in westdeutschen Ballungsgebieten. Das beeinflußt die Erneuerungsfähigkeit der Betriebe und die Zukunftsaussichten der Beschäftigten negativ.

Natürlich ist nicht alles Asche. Die aufstrebenden Branchen wie Telekommunikation und Multimedia, Software-Entwicklung und Werbung machen sich auch an der Spree bemerkbar. Gerne preist CDU-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner erfolgreiche Jungunternehmer. Doch nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß die modernen Dienstleistungen die Verluste der alten Industrien in den kommenden Jahren bei weitem nicht ausgleichen.

Die Depression bleibt allgegenwärtig. Die Verantwortung dafür trägt auch der Senat, wissen die Autoren der Berlin-Studie. Bislang habe man es verpaßt, „vorzeigbare Leitprojekte“ zu entwickeln. Die Landesregierung plane zwar, Berlin zu einem Zentrum der Kommunikations-, Biotechnologie- und Verkehrshersteller zu machen, doch beispielhafte Demonstrationsobjekte gebe es bislang kaum.

Nicht nur in bezug auf den ersten Arbeitsmarkt bleibt die Regierung der Studie zufolge hinter den eigenen Ankündigungen zurück. Ähnliches lasse sich auch für den zweiten, öffentlich geförderten, Sektor der Ökonomie feststellen. Zuviel werde hier mit den traditionellen ABM-Stellen gearbeitet, die eine Integration von Beschäftigten in die normale Wirtschaft kaum erleichterten. Innovative Ansätze wie die in Berlin erdachten sozialen Betriebe, eine Mischform aus Markt und Staat, kämen dabei viel zu kurz. Barbara Junge, Hannes Koch