■ Buchtip
: Transkulturelle Seelenlandschaft

Die Minars leben in Rotterdam. Ihre Wurzeln haben sie in Marokko. Und damit diese nicht verdorren, fährt die vierköpfige Familie immer zur Urlaubszeit gen Süden, im Troß mit Tausenden anderen Sommerheimkehrern. Der 24jährige Autor Abdelkader Benali beschreibt in seinem Debütroman „Hochzeit am Meer“ das Leben einer Einwandererfamilie in den Niederlanden und ihre tiefsitzenden heimatlichen Bande.

Der Vater baut von seinem Ersparten das Haus am Meer in der alten Heimat. Als Altersruhesitz für sich und für seine Kinder. Der Bruder des Vaters, Mosa, überwacht den Bau, die Großeltern wohnen das Haus trocken. Marokko, das sind die Großeltern, die dörfliche Gemeinschaft, die Hoffnung der Männer auf eine bessere Perspektive. Marokko, das sind auch Geschichten von der Liebe im Feld, von der Zufälligkeit der Geburt, von Spielsucht, Untreue und Begehren.

„Träume, was sind Träume? Instinkte einer falschen Blutzirkulation, ein nettes Männlein mit einem Säckchen voller Sandkörner, die mit der Absicht in die Augen gestreut werden, dich in eine herrliches Abenteur zu locken“, fragt sich der Sohn Lamarat. Und gerät selbst in ein abwegiges Abenteuer, ausgelöst durch die Träume des Vaters. Der will, gefangen in familiärer Loyalität, seine Tochter Rebekka mit seinem Bruder Mosa verheiraten.

Mosa ist ein Spieler und gerngesehener Gast in seinem Lieblingsbordell „Lolita“, ein Tagedieb. Am Tag der Hochzeit ist er unauffindber. Lamarat macht sich auf, ihn zu suchen, um die Schmach der Familie vor den geladenen Gästen möglichst gering zu halten. Er findet ihn auch. Und seine Schwester Rebekka, „die mit dem Bewußtsein aufwuchs, daß sie sich irgendwann, eines Tages, mit diesem oder jenem würde verbinden müssen“, erwacht in ihrer Verletzheit aus dem Dämmerzustand. Sie rächt sich gnadenlos an dem treulosen Bräutigam...

Eindringlich beschreibt der Roman Lebenswelten und Personen. Eine fast irreale Erzählung über Gefühle, Leidenschaften, Verirrungen, tief verankert in der Realität. Ein Buch voller Überraschungen.

Nebenbei hat Abdelkader Benali auch einen Roman über das Leben in zwei Kulturen geschrieben, wie es für Rebekka und Lamarat selbstverständlich ist. Benalis Roman ist kein Multikulti- Entwicklungsroman, allenfalls beschreibt er eine transkulturelle Seelenlandschaft. Er leuchtet das Unterbewußtsein seiner Protagonisten aus, und das ist von den Geschichten und Wunderlichkeiten Marokkos genauso geprägt wie von dem kleinbürgerlichen Leben in Rotterdam. Edith Kresta

Abdelkader Benali: „Hochzeit am Meer“. Piper Verlag, München 1998, 224 Seiten, 29,80 DM