Modelle, Ideen etc.
: Fit fürs Verfahren

■ Michael Naumann, das Holocaust-Mahnmal und die Formsicherheit

Es vergeht kaum eine Woche, in der die Zeitungsredaktionen, so auch diese, ein bis zwei Leserentwürfe für ein Holocaust- Mahnmal zugesandt bekommen. Die Form der Vorschläge reicht von der flüchtigen Ideenskizze bis zu penibel durchgeführten Ausarbeitungen. Manche der Einsender schicken Fotos von bereits vorliegenden Modellen. Ganze Schulklassen haben sich an Projektentwürfen abgearbeitet, und man darf annehmen, daß sie dabei keiner „Instrumentalisierung unserer Schande zu fremden Zwecken“ (Martin Walser) ausgesetzt worden sind.

Die zahlreichen privaten Entwürfe, die sich zu den mehr als 500 der öffentlichen Wettbewerbe gesellen, sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Phantasierens, das alles andere als das bedrohliche Schwingen einer Moralkeule darstellt. Das erratische Phantasieren in ein kompliziertes, aber doch überschaubares Verfahren überführt zu haben, ist die große Leistung der nun fast zwölf Jahre dauernden Debatte um ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Eine Debatte, an der sich laut Koalitionsvertrag die Bundesregierung beteiligen wird. Nicht weniger hat Michael Naumann, der Staatsminister für Kultur, mit seinem Vorschlag getan, das Mahnmal solle nun ein „Garten des Spiels und der Besinnung“, ein Museum mit Bibliothek, Forschungs- und Ausstellungsstätte werden.

Aber auch nicht mehr. Naumanns Vorschlag reiht sich ein in die Arbeit am Mahnmal von Lesern und Schulklassen. Auch wenn sie von einem Amt aus ins Rennen geschickt worden ist, so ist Naumanns Idee keineswegs Bestandteil des Verfahrens. „Die Entscheidung über das Denkmal an dem vorgesehenen Ort in Berlin“, heißt es weiter im Koalitionspapier, „wird der deutsche Bundestag treffen.“

Auf die Bedeutung des gewiß nicht immer einfachen, oft verwirrenden Verfahrens hat James Young, Mitglied der Findungskommission für das Holocaust- Mahnmal, in der Berliner Zeitung noch einmal hingewiesen. „So schwer es für Deutsche zu glauben sein mag: Die Berliner Debatte über die Zukunft des öffentlichen Erinnerns an den Holocaust hat anderen Nationen ein Beispiel dafür gegeben, wie sie mit ihren eigenen Denkmaldämonen ringen können. Ich kann es einfach nicht fassen, daß Naumann das zwölfjährige Verfahren für nichtig erklären und durch seine eigenen geistreichen Visionen ersetzen will.“

So weit muß es ja nicht kommen. Inzwischen sind Dokumentationen erschienen, die die öffentlichen Entwürfe und die drei Kolloquien in Text und Bild zusammenfassen. Es gibt gut aufgearbeitetes Material, um sich für die bevorstehende Debatte im Bundestag zu präparieren. Das Treffen zwischen Naumann und Peter Eisenman am Sonnabend mag hier ebenfalls hilfreich gewesen sein. Im Umgang mit den Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Erinnerung an den Holocaust muß man nicht bloß meinen und phantasieren. Hinreichend qualifiziertes Wissen ist verfügbar.

Der Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer hat wiederholt Instinktsicherheit hinsichtlich des öffentlichen Formgefühls bewiesen. Bereits vor einem Jahr hatte er schon aus physiognomischen Gründen für einen Regierungswechsel plädiert. Nun hat er in der NZZ der Schröder-Regierung ein Defizit an Formsicherheit im Gedächtnis an den Holocaust attestiert. „Nachdem die Schuldkultur psychologisch mißlungen ist“, schreibt Bohrer, „scheint nun die Schamkultur politisch zu mißraten.“ Den physiognomischen Wechsel hat die Bundesrepublik eindrucksvoll vollzogen und dürfte sich durch entsprechenden Willen zur Fitneß auch weiter in Form halten. Zur politischen Form braucht es Verfahrenssicherheit. Naumann, trainieren Sie. Harry Nutt