■ Nebensachen aus Moskau
: Kakerlaken! Ein Notruf

Ein Kakerlak ist noch kein Kakerlak. Seit Wochen lanciert die Gattung der Gradflügler wieder eine Offensive nach der anderen. Tagsüber sieht es so aus, als konnte die Attacke abgewehrt werden. Das Bild trügt. Die als Ablenkung gedachten Scharmützel mit dünn besetzten Spähtrupps bei Tageslicht dienen nur dazu, den Gegner in die Irre zu führen. Erst abends zeigt sich das wahre Ausmaß der Landnahme.

Wieder konnten sie neue Wälle erobern. Aus dem Herd lugt ein feistes plattes Insekt hervor, sobald die Flamme brennt. Öffnet sich die Tür des Küchenschranks, entwischt der Okkupant in einen schützenden Spalt. Ritzen und Unebenheiten dienen ihnen als Schützengräben. Und Rußland, wo die Handwerkszunft Pi mal Daumen werkelt, ist daher ein wahres Paradies. Versuche, den Parasiten den Garaus zu machen, haben nicht gefruchtet. Der Zweikampf Mann gegen Mann erwies sich als archaisch, einem ausgedienten Ehrenkodex verpflichtet. Legst du eine Kreatur um, mobilisiert das die Rache des ganzen Volkes. Inzwischen hat sich die Vorhut ins Schlaf- und Wohnzimmer vorgewagt. Auf dem Klo ist auch schon jemand vor dir da und begrüßt dich mit schwingenden Fühlern.

Kapitulation? Niemals!!! Mag Rußland mit ihnen seit Jahrhunderten in Frieden leben, ich bin kein solcher Multikulti. Beugt man sich dem Übel, hat man es nicht besser verdient. Was tun? Chemische und biologische Waffen statt konventioneller Kriegsführung! Die Chinesen produzierten ein Mittel, das die Schabe auf russischem Boden kurzfristig in Panik versetzte, die nachwachsende Generation hat sich flugs daran gewöhnt. Die russischen Chemikalien wirkten indes wie Giftgas. Sie verursachten Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerz bei uns. Womöglich auch Hallunzinationen? Oder waren Wände, Tische und Schränke tatsächlich lebendig geworden? Und die Zimmerdecke? „Schto nad nami wwerch nogami?“ – Was läuft über uns verkehrt herum? – lautet eine feststehende Wendung. „Tarakany“ – Kakerlaken. „Zerleg dein Haus, und du bekommst es mit der Kakerlaken-Gewerkschaft zu tun“, warnt der Volksmund. Klassiker Gogol beklagte schon vor 160 Jahren, daß in Hotelzimmern „die Schaben wie Dörrpflaumen aus allen Ecken hervorgucken“. Womit die geläufige Rechtfertigung widerlegt wäre, Müllschächte in Hochhäusern seien die Brutstätte des Übels. Erleichterung zwischendurch verschafften labyrinthartige aus dem Westen importierte Schabenfallen, die gleichzeitig die Entsorgung der Kadaver lösten. „Die Stiere auf sechs Beinen“ gehen ihnen nicht mehr auf den Leim. Sie sind intelligente Tiere. Wohl kaum heißen sie deswegen „Prussak“, Preuße. Vorsicht vor Fehlschlüssen! Sie erhielten den Namen lange vor 1933.

Die Blatella germanica, wie der Name nahelegt, war urspünglich ein Eindringling, inzwischen ist die Spezies integriert. Einiges verrät indes noch die deutsche Herkunft. Neben den gestutzten Flügeln versteht sie es hauszuhalten und fühlt sich auch in sauberer Umgebung wohl. Begeistert skatet sie über gewienerte Böden. Dann fragt man sich: Wo hat sie nur die Hinterhältigkeit her? Wird den Russen das Rooming-in gelegentlich allzu beengend, öffnen sie Fenster und Türen und frieren das Ungeziefer aus – „tarakannitschat“ heißt das.

Während der Befrostung wechseln Zweibeiner ihren Wohnort. Lediglich Symptombekämpfung. „Wo ein Haus ist, sind auch Kakerlaken“, lautet das eherne Gesetz. Und jene Weisheit, daß sich „Preußen und Kakerlaken zum Wohle des Hausherrn vermehren“, kann ich bisher nicht bestätigen. Ich wollte es wäre Nacht, und die Preußen gingen... Klaus-Helge Donath