Minderjährige wählen SPD!

■ Bremer MdB Volker Kröning ist trotzdem dagegen, das Wahlalter herabzusetzen / Eine Schuldebatte in Tenever

Was ist los in Tenever? Wer ist Schuld an der sinkenden Wahlbeteilung im Stadtteil, wo bei der letzten Bürgerschaftswahl nur 55 Prozent der Wahlbeteiligten zur Urne gingen? Liegt der Grund im hohen Anteil der Sozialhilfeberechtigten im Stadtteil – oder etwa an der überdurchschnittlich hohen Zahl von JungwählerInnen und deren Politikverdrossenheit? Diese Fragen stellten sich SchülerInnen der Höheren Handelsschule im Schulzentrum Walliser Straße. In einem halbjährigen Schulprojekt nahmen sie vor allem das Wahlverhalten von JungwählerInnen unter die Lupe. Doch das Ergebnis mehrerer Testwahlen an der Schule entlastet die Jugend vom Verdacht des Wahlboykotts.

Seit März hatten sie unter über 400 SchülerInnen am Schulzentrum zwei Testwahlen durchgeführt, um das Wahlverhalten von 16- bis 18jährigen zu untersuchen. Zur Stimmabgabe waren dabei auch die ausländischen SchülerInnen aufgerufen. Während die Experten des Statistischen Landesamts heute noch darüber brüten, wie repräsentativ die Ergebnisse der Schulumfrage sind, diskutierten die SchülerInnen die Resultate schon jetzt mit dem Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten Volker Kröning.

„Das Überraschendste für uns war, daß die Schüler offenbar schon relativ fest an eine Partei gebunden sind“, faßte Politiklehrer Wolfram Stein die Ergebnisse zusammen. So sei das Wahlverhalten bei den verschiedenen Wahlgängen im März und Juli weitgehend gleich geblieben. Daraus sei zu schließen, daß das politische Bewußtsein von ErstwählerInnen und unter 18jährigen weitgehend unterschätzt werde. Die SchülerInnen begründeten damit ihre Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen. Dieser Interpretation widersprach der Bundestagsabgeordnete Volker Kröning hingegen deutlich. Nach der Ansicht des SPD-MdB sind SchülerInnen vor allem dem Einfluß von Eltern, Schule und Freunden einerseits und dem der Medien andererseits ausgesetzt. „So entstehen diese stabilen Bindungen an die Parteien“, argumentierte Kröning.

Zu den beiden Testwahlen waren auch ausländische Schüler aufgerufen. Die Stimmberechtigten unter ihnen beteiligten sich zu 72 Prozent an der Testwahl – und bewiesen damit ein fast ebenso großes Politikinteresse wie ihre deutschen MitschülerInnen. „Dies zeigt, daß die Integration ausländischer Schüler so weit fortgeschritten ist, daß sie das Wahlverhalten erproben wollen und sich auf diesem Wege mit dem politischen System der Bundesrepublik auseinandersetzen“,freute sich Politiklehrer Wolf-ram Stein. Mit überwältigender Mehrheit hatten sich die Nichtdeutschen auf die Seite der SPD geschlagen. Die Arbeiterpartei erhielt jeweils fast 70 Prozent ihrer Stimmen. Die Christdemokra-ten kamen im März zwar noch auf acht Prozent, rutschten im Juli aber auf klägliche 1,7 Prozent ab.

„Diese Entscheidung gegen die CDU und für Rot-Grün kann auch als politische Entscheidung für ein neues Staatsbürgerrecht interpretiert werden“, deutete Wolfram Stein das Ergebnis. Auszuschließen sei aber auch nicht, daß die christliche Ausrichtung der Partei sie für Muslime unattraktiv mache.

Mit dem Ergebnis des Wahlprojektes an der Schule war Wolfram Stein schließlich überaus zufrieden. Es habe dazu beigetragen, die Wahlbeteiligung bei den letzten Bundestagswahlen im Stadtteil Tenever zu steigern und zumindestens bei den Schülern eine größere politische Aufmerksamkeit zu wecken. Das belege eine nachträgliche Befragung unter den wahlberechtigten SchülerInnen kurz nach der Bundestagswahl. Dabei hatten 86 Prozent der über 18jährigen erklärt, am 27. September gewählt zu haben. Das liegt weit über der Durchschnittswahlbeteiligung im Stadtteil von rund 74 Prozent. Im Klassenraum mit Blick auf die „einzig ware Skyline Bremens“ wollten dann 21 mehr oder weniger interessierte Schüler von Volker Kröning eine Stellungnahme zum Thema ,Wahlrecht ab 16' hören. Doch der Bundestagsabgeordnete blieb hart. Das Wahlrecht sei eine äußerst schwierige Angelegenheit, denn schließlich entscheiden ja die dann gewählten Volksvertreter über Gesetze, die alle betreffen. Nicht, daß er den Schülern „politische Reife“ streitigmachen wollte, aber Rechte und Pflichten müßten einvernehmlich erworben werden. sth