Das Chaos hinter den elementaren Formaten

■ „Härte“, „Kühle“, „Spannung“ – so belegten Kritiker die Arbeiten von Volkmar Haase. Im Haus am Lützowplatz werden seine Skulpturen mit Fotos von Anna und Bernhard Blume ausgestellt

Geplant hatte das Haus am Lützowplatz eine Ausstellung von Anna und Bernhard Blume mit Arbeiten aus ihrer Fotoserie „Transzendentaler Kontruktivismus“ von 1992/94. Als die beiden den Ausstellungsort besichtigten, sahen sie die vom Trottoir zum Fenstereingang der Räume führende abgewinkelte Treppe mit ihrem futuristisch gezackten Geländer. Sie waren fasziniert. Der im tristen Kontext des Platzes wie ein skurriles Aperçu wirkende Aufgang an der Stadtvilla des späten 19. Jahrhunderts, 1988/89 von Volkmar Haase entworfen, erschien ihnen kongenial zu ihrer eigenen Arbeit. In beiden Fällen entstehen abstrakt-geometrische Formen aus spitzen Vierkantstäben, die zu verschiedenen Gestaltkonstellationen zusammengefügt werden. Sie besuchten den Bildhauer und sahen weitere Skulpturen. Spontan luden sie ihn zur „ideoplastischen Gemeinschafts-Ausstellung“ ein, „um in gegenseitiger Erhellung und produktiver Erleuchtung den Ideen- Hintergrund des ,Transzendentalen Konstruktivismus‘ zu veranschaulichen“.

Nun stehen sie sich gegenüber: auf der einen Seite in glänzend poliertem Edelstahl die Plastiken „Auffaltung“ und „Offenes Dreieck“, „Umgreifend im Quadrat“ und „Schwingend mit offener Quadratform“ – Werke in konstruktivistischer, aber auch expressiver Tradition. Werke, die wegen Material und Formensprache von Kritikern häufig mit Begriffen wie „Kühle“, „Härte“, „Kraft“ und „Spannung“ belegt wurden. Heute wirken die von einem Technikoptimismus angeschobenen Arbeiten ein wenig abgestanden.

Aber in der hintergründigen Konfrontation mit den Fotos sieht man die Skulpturen neu, die zuvor für den Außenraum gedacht waren. Haase hat in Berlin zahlreiche Autragsarbeiten für den öffentlichen Raum ausgeführt. Ein paar vereinzelte Vierkantstäbe liegen vor Blumes Großfotos (je 126 x 81 Zentimeter) auf der Erde – wie unschuldsvoll-reuige Tatwerkzeuge, denn es scheint, als seien die Vierkantstäbe in den „phantomatischen“ Bildern der Blumes – häufig zu Diptychen und Triptychen arrangiert – zu Leben erweckt worden. Sie fliegen durch den Raum und lehren das traute Paar im Fünfziger-Jahre-Look (A.&B. Blume in voller Aktion) das Fürchten. Wohin es auch flüchtet, es kommt von den attackierenden Elementarformen nicht mehr los.

Mit allen lichtbildnerisch dynamisierenden Tricks furios in Schwarzweiß inszeniert, ergibt sich ein Kampf mit den Dingen, der es in sich hat. Wie verzaubert schlagen die Stäbe und Blöcke plötzlich aus, formen sich zu spitzen Winkeln, Kreuzen, Balken, Kuben, fahren dem Mann blitzartig durchs karierte Jackett oder setzen sich raubvogelartig auf die Schulter, versetzen der Frau einen Haken, daß die Perücke wackelt, oder schlagen ihr gegen die Brust, auf daß sie erschreckt nach hinten torkelt. Und alleine, ohne Menschen, formen sich die wild gewordenen Dinge zu veitstanzenden, roboterähnlichen Gliederpuppen.

Der Mensch und sein Ordnungssinn, sein Streben nach Klarheit und Reinheit, veranschaulicht in Geometrie und reiner Kunst als Verdinglichung des Luminösen – hinterrücks schlagen sie zurück und entlarven ihn als armseligen Spießer. Doch was da schlägt, ist Styropor. Denn die Blumes sehen es mit Humor. Das Chaos ist dabei die andere Seite der Dinge, keine Alternative, sondern ein anderer Zustand. Blume und Haase multiplizieren: Das Ergebnis ist offen. Michael Nungesser

Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, Berlin-Tiergarten. Bis zum 8. Januar; Di.–So. 11–18 Uhr