Präfeministische Pudelpoesie Von Reinhard Krause

Während die Frauenzeitschriften ihr Pulver an Weihnachtstips fast schon wieder verschossen haben, kommt bei unsereins das Grübeln über Geschenke erst mühsam in Gang. Ich empfehle in diesem Jahr das gebrauchte, besser: das vergriffene Buch. Es ist billig, ökologisch ganz unbedenklich, und es bewahrt Kulturwerte, die von den Buchverlagen längst aufgegeben worden sind. Das Weihnachtsgeschenk als kulturelle Archäologie, wenn man so will.

Ein wenig Zeit muß man freilich investieren: Die wirklich unglaublichen Bücher gibt es nämlich nur in den desolatesten Antiquariaten, in denen kein bildungsbeflissener Buchhändler sich zum Richter über Kunst und Schrott aufwirft. Mit etwas Glück und Muße findet man so vielleicht den fabelhaften kleinen Bildband „Pudelpoesie“, ein heute ganz in Vergessenheit geratenes Standardwerk aus den späten fünfziger Jahren, das einige Jahre später sogar eine zweite Auflage erlebte. Untertitel: „Mit der Kamera belauscht von Hellmuth Pollaczek, in Verse gesetzt von Annemarie Otto.“ Hier gibt es Pudel satt: Pudel vor dem Fernseher, Pudel in der Badewanne, Pudel an der Kühlschranktür, Pudel vor dem Schlachterladen.

„Pudelpoesie“ drängt sich als Geschenk für schwule Freunde geradezu auf. Denn wie der Löwe der König, so ist der Pudel die Tunte des Tierreichs oder die Verkörperung des schwulen Prinzips: der Gleichzeitigkeit von triebhafter Kreatürlichkeit und zivilisatorischer Überspitzung. Yin und Yang im Kreisverkehr. Manche Schwule sind auf Pudelpostkarten regelrecht versessen. Und wer wollte ihnen dieses harmlose Amüsement ernsthaft verübeln?

In diesem Zusammenhang muß es allerdings bedenklich stimmen, daß vor geraumer Zeit vom „Ende der Pudelschur“ berichtet wurde. Geschorene, ondulierte Pudel seien „scheußlich und out“, hieß es unter Berufung auf den Zentralverband zoologischer Fachbetriebe. Wie betrüblich! Schwule sollen jetzt heiraten und ältere alleinstehende Damen ihre vierbeinigen Lieblinge zum schlampigen Ökolook verdonnern. Wo bleibt der Wille zur Stilisierung?

Fakt ist nun einmal, daß ungetrimmte Pudel ebenso üble Kläffer sind wie ihre frisierten Artgenossen, zusätzlich aber auch noch muffig aussehen. Wer will solch ein Tier? Der „natürliche“ Pudel ist ein Widerspruch in sich, eine züchterische Sackgasse! Die possierlich menschelnden, politisch also völlig unkorrekten Pudelfotos des Herrn Pollaczek wirken hier wie Denkanstöße aus einer naiveren, aber auch bedeutend froheren Epoche.

Wenig verwundern kann es da, daß die kongenialen Verse von Frau Otto präfeministischen Humor atmen. Zu harmlosen Fotos (großer schwarzer Pudel drängt kleinen weißen Pudel vom Freßnapf) glücken ihr aufmüpfige Verse wie dieser: „Hier handelt es sich doch wohl ohne Frage / um eine Ehe, wie wir deutlich sehn. / Der Herr beweist, was Männer unsrer Tage / So unter Gleichberechtigung verstehn.“ Ein wenig altbacken, aber nicht doof.

Kurz: Mit Pudelpoesie verschenkt man ein Plädoyer für die Differenz. Denn nicht alles, was auf den ersten Blick gekünstelt wirkt, ist deshalb gleich „falsch“. Und – achten Sie mal drauf: Die Betreiber kleiner, dunkler Antiquariate sind oft die seltsamsten Persönlichkeiten.